Nachruf Gerhard Wehr
Am 22.04.2015 hat Dr. theol. h.c. Gerhard Wehr diese Welt im Alter von 83 Jahren verlassen.
Als
Autor und persönlich war er dem Königsdorfer Verlag eng verbunden, weil
seine esoterisch-christlichen Intentionen dem
christlich-rosenkreuzerischem Programm des Verlags nahe standen.
Schon
mit 18 Jahren war Gerhard Wehr Jakob Böhme, den man der
rosenkreuzerischen Strömung im weitesten Sinn zurechnen kann, zum ersten
Mal innerlich begegnet. Dieser "ersten Liebe" blieb Gerhard Wehr sein
ganzes weiteres Leben über treu. Sie zieht sich als roter Faden durch
sein gesamtes Werk. Später formulierte er: "Damit reihte sich der
Görlitzer Schuster in die Schar derer ein, die die rosenkreuzerische
Erkenntnis als eine Synthese einer Gottes-, Welt- und Menschenweisheit
hüteten" (rororo Monographie "Jakob Böhme", S. 110).
Als Pionier und
Altmeister der esoterisch-christlichen Literatur in den Jahrzehnten nach
dem 2. Weltkrieg wies Gerhard Wehr in einem weitgehend
theologisch-dogmatisch geprägten Umfeld unermüdlich auf den
esoterisch-spirituellen Kern des Christentums hin. Schon in dem Buch
"Auf den Spuren urchristlicher Ketzer" erkannte er die Gnosis als eine
dieser Wurzeln und beschrieb die spirituellen Aspekte des Christentums
in den umfangreichen Standardwerken "Esoterisches Christentum - von der
Antike bis zur Gegenwart" und "Europäische Mystik".
Immer lag dabei
auch ein Akzent auf den klassischen Rosenkreuzerbewegungen. In "Die
Bruderschaft der Rosenkreuzer" gab er deren Schriften, sprachlich etwas
modernisiert, heraus und schrieb eine Einführung dazu. Er verfasste
literarische Porträts zum Beispiel über Johann Valentin Andreä, den
Haupt-Autor der Rosenkreuzerschriften, und viele Persönlichkeiten, die
sich auf die Rosenkreuzer beriefen. Zwei Sammlungen dieser Porträts sind
noch jüngst im Königsdorfer Verlag erschienen ("Gefährten auf dem
inneren Weg" und "Profile des Geistes").
Dass sich seine spirituellen
Interessen und Kenntnisse fortwährend erweiterten, zeigen die in den
letzten Jahrzehnten veröffentlichten Biographien über Rudolf Steiner,
C.G. Jung, Graf Dürckheim, Martin Buber und viele andere. Mehr und mehr
wandte sich Gerhard Wehr schließlich der analytischen Psychologie
C.G.Jungs und dessen Individuationsweg zu. Aber während C.G.Jung, vor
allem in seiner zehnjährigen "Nachtmeerfahrt", versuchte, das
Menschheits- und individuelle Karma, vertreten durch die "Archetyen",
mit Hilfe des rationalen Verstands zu bannen, ging Gerhard Wehr einen
anderen Weg. Jakob Böhme hätte die Erfahrungen Jungs als Einflüsse aus
dem ersten der "drei göttlichen Prinzipien", nämlich aus der "Zornwelt"
Gottes, bezeichnet. Im Gegensatz dazu war es Gehard Wehr möglich, mit
Hilfe der "Sophia", der Christusweisheit, die dem zweiten der
"göttlichen Prinzipien" Böhmes angehört, einen Individuationsweg auf der
Grundlage aktueller Christuserfahrung zu gehen. Damit vermied er die
Gefahr einer Abhängigkeit vom Karma, wie sie Jungs Methode mit sich
bringt - denn das Karma ist stärker als jedes Verstandeswissen"- und
gelangte mehr und mehr zur Freiheit vom Karma, was nur auf der Basis der
Christuskraft und mit Hilfe des Sophia-Bewusstseins möglich ist.
Bedeutsame
Unterstützung bei diesem Prozess gab auch die Brudergemeinschaft der
Rummelsberger Diakonie, in der Gerhard Wehr lebenslang fest verankert
war. Aus ihr und aus seiner inneren Verbindung mit Jakob Böhme erklärt
sich wohl seine bewundernswerte seelische und wissenschaftliche
Selbstständigkeit.
Sie ermöglichte ihm, über enge dogmatische Grenzen
des Christentums hinauszuwachsen und sich - autodidaktisch, ohne jedes
akademische Studium! - mit den vielen esoterischen Strömungen der
Gegenwart auseinanderzusetzen - nicht mit dem Verstand allein, sondern
am Leitfaden des "Sophia-Bewusstseins".
Für dieses umfassende, hilfreiche Lebenswerk sei Gerhard Wehr von Herzen gedankt.
Königsdorfer Verlag
Gerhard Wehr
Biografie
Dr.
theol. h.c. Gerhard Wehr, geb. 1931 in Schweinfurt/ Main, lebt als
freier Schriftsteller in Schwarzenbruck bei Nürnberg. Von ihm liegen
zahlreiche Veröffentlichungen zur neueren Geistesgeschichte und
christlichen Mystik vor. Darunter befinden sich Biographien über Martin
Buber, C.G. Jung, Rudolf Steiner, Karlfried Graf Dürckheim, Jean
Gebser, Helena Petrovna Blavatsky. Er ist Herausgeber zahlreicher
Quellenwerke zur christlichen Mystik, speziell von Jakob Böhme. Ein
Großteil seiner Werke ist in mehrere europäische und asiatische Sprachen
übersetzt.