01.06.20

Gnostisches Christentum - Forum für ein gnostisch-rosenkreuzerisches Christentum - 1 Brief

1. Brief, München, Juni 2020



Ein Blick auf die gegenwärtige Szenerie spiritueller Gruppen zeigt eine verwirrende Vielfalt, und eine wachsende Unsicherheit des Publikums, welche Gruppe oder Lehre Vertrauen verdient.

In dieser Situation bietet das gnostisch-rosenkreuzerische Christentum eine sichere Grundlage.
Die auf diesem Forum veröffentlichten Briefe sollen diese Grundlage verdeutlichen und zu Stellungnahmen anregen.

Ein guter Ausgangspunkt ist die Formel für den gnostisch-christlichen Weg, die von Jesus in allen biblischen Evangelien für seine Schüler ausgesprochen wird.

Matthäus 16, 25: Wer sein Leben retten will, der wird es verlieren, wer aber sein Leben verliert um meinetwillen, der wird es finden.

Markus 8, 35: Wer sein Leben retten will, der wird es verlieren, wer aber sein Leben verliert um meinetwillen und um des Evangeliums willen, der wird es retten.

Lukas 17, 33: Wer sein Leben retten will, der wird es verlieren, wer aber sein Leben verliert um meinetwillen, der wird es retten.

Johannes 12, 25: Wer sein Leben liebt, verliert es, und wer sein Leben in dieser Welt hasst, wird es ins ewige Leben bewahren.

Aus dieser Formel lassen sich alle wesentlichen Inhalte des gnostischen Christentums ableiten.

Zwei Klarstellungen sind zunächst notwendig. Mit dieser Formel kann nicht gemeint sein, dass jeder, der freiwillig, wie ein Selbstmordattentäter, sein irdisches Leben für Jesus opfert, erlöst werden wird. Das geht schon daraus hervor, dass es im Griechischen zwei Worte für "Leben" gibt: "Bios" für das biologische Leben, und "Zoé" für das seelisch Leben, und dass in der obigen Formel das Wort Zoé verwendet wird. Damit ist also das seelische Leben gemeint. Auch ist deutlich, dass Johannes das Wort "hassen" dem Wort "lieben" gegenüberstellt, um einen deutlichen Gegensatz zu markieren, nicht um dem Hass das Wort zu reden. Die Welt "lieben" bedeutet für ihn, alles vom Leben in der vergänglichen Welt zu erwarten, die Welt "hassen" bedeutet, nichts mehr vom Leben in der vergänglichen Welt zu erwarten. Nur so kann der Mensch sein seelisches Leben ins unvergängliche "ewige Leben bewahren".

Es geht immer um ein seelisches Leben, aber um zwei Arten dieses Lebens. Der Sinn der Formel ist: Wer sein gegenwärtiges seelisches Leben verlieren will - um des wahren Menschen willen, den Jesus verkörpert -, der wird ein anderes seelisches Leben retten. Geht man nicht davon aus, dass hier von zwei verschiedenen Arten des seelischen Lebens die Rede ist, so ergibt die Formel keinen Sinn. Denn wie soll der Verlust des seelischen Lebens das Finden desselben seelischen Lebens mit sich bringen?
In moderner Ausdrucksweise lässt sich der Inhalt der Formel noch einmal verdeutlichen: Wer seine alte Identität, sein altes Leben, retten will, oder liebt (Johannes), der wird sie verlieren. Wer aber seine alte Identität verliert, oder hasst (Johannes) um des wahren Menschen willen, der wird eine neue, ewige Identität (Johannes), ein neues Leben, finden.
Was ist die alte Identität des Menschen, "sein" altes Leben? Es ist, wie aus den Evangelien klar hervorgeht, die Identität des gewöhnlichen Ich-Menschen, der die vergängliche Welt liebt und so viel wie möglich von ihr erwartet - sei es Erfolg, Macht, Ehre, Besitz und Glück in diesem Leben bis zum Tod, sei es Erlösung vom Leiden, dass sich durch Streben nach vergänglicher Macht, Erfolg und Glück unweigerlich einstellt, in einem zukünftigen Leben nach dem Tod. Es ist der Mensch, der für sich, für sein liebes Ich, alles erwartet, sei es in der diesseitigen oder jenseitigen Welt - man kann ihn darum "Ich-Mensch" nennen.
Die neue Identität jedoch ist der Seelen-Mensch, der nichts Wesentliches mehr von der vergänglichen Welt des Diesseits und Jenseits erwartet, der sie also "hasst" (Johannes) und sich, ohne sein irdisches Dasein zu vernachlässigen, vollkommen auf das "ewige Leben" in der unvergänglichen Welt ausrichtet, um mit ihr eins zu werden. Mann kann auch vom "wahren Menschen" sprechen, der im Einklang mit der unvergänglichen Welt lebt. Seine Wahrheit ist die Übereinstimmung zwischen seinem Wesen und der unvergänglichen Welt.
Die große Möglichkeit des Menschen besteht nach dieser Formel darin, dass er seine alte, vergängliche Identität als Ich-Mensch in der neuen Identität als Seelen-Mensch "verliert", sie darin aufgehen, vergehen, verlöschen lässt, um die neue, unvergängliche Identität als Seelen-Mensch zu "finden" oder zu "retten".

Damit ist aber die Bedeutung der Grundformel des gnostischen Christentums noch nicht ausgeschöpft. Ein wichtiger Hinweis ist nämlich die Aussage, dass dieser Vorgang des Erlöschens der alten Ich-Identität in der neuen Seelen-Identität unbedingt um der neuen Identität willen geschehen muss. Die neue Identität wird durch Jesus den Christus verkörpert, der diese Formel seinen Schülern ans Herz legt. Die alte Identität darf also nicht für irgend einen äußeren Meister oder für eine Ideologie, eine Religion oder Theorie verloren werden. Wäre das der Fall, so würde die neue Identität nicht gefunden werden, im Gegenteil: Der Schüler würde noch abhängiger von der vergänglichen Welt in Gestalt eines Meisters oder einer dogmatischen Lehre werden als zuvor. Er würde seine Ich-Identität nicht für eine neue Seelen-Identität, sondern für eine fremde Instanz verlieren. Der äußere Jesus Christus, der den Schülern diese Formel als Grundlage für ihren Weg gibt, ist nur ein Bild für den inneren Jesus. Würde der Schüler seine Ich-Identität durch dieses Bild, diese Vorstellung von Jesus ersetzen, würde er seine innere Selbstständigkeit um dieses Bildes willen aufgeben. Der Sinn der Formel wäre zerstört, wenn er die Hingabe an einen äußeren Jesus Christus oder an eine Vorstellung von diesem als entscheidend ansehen würde.
Außerdem enthält die Formel diese Bedingung "um meinetwillen oder um des Evangeliums willen", weil sich viele falsche Christusse um den Schüler auf seinem Weg bewerben werden. Er darf seine Ich-Identität weder um eines Christus-Bildes willen, noch um einer Vorstellung von dessen Lehren (des Evangeliums) willen noch um falscher Christusse willen, sondern nur um seiner Seelen-Identität willen, seines wahren Selbstes willen, aufgeben. Andernfalls würde er sich selbst und den Christus im eigenen Wesen, der seine wahre Identität ist, verlieren. Die Vorstellung von einem hohen Wesen, dem er sich hingeben sollte, wäre nur ein Über-Ich, ein neuer Tyrann, der die Freiheit des Seelen-Menschen zerstören würde.

Über all diese Aspekte der Formel des gnostischen Christentums wird in diesen Briefen gesprochen werden, und die Leser werden, wie zu hoffen ist, mitdenken und sich dazu äußern. Denn alle weiteren Aspekte des gnostischen Christentums lassen sich aus dieser Formel ableiten.
Erstens wird gefragt werden: Woher stammt denn die alte, und woher stammt die neue Identität des Menschen, die durch den Christus Jesus verkörpert wird? Was sind die kosmischen Ursachen der gegenwärtigen Lage des Menschen und der Menschheit?
Zweitens wird vor dem Hintergrund kosmischer Entwicklungsgesetze die Notwendigkeit eines Austausches der alten gegen die neue Identität des Menschen sichtbar werden.
Drittens ist es möglich, das Ziel dieses Weges genauer zu bestimmen, was mit einschließt, dass der Weg zu diesem Ziel, die zahlreichen dabei möglichen Abweichungen und die Widerstände deutlich werden, die der alte Ich-Mensch dem neuen Seelen-Menschen entgegensetzt. Vor allem wird auch von den Hilfen die Rede sein, mit denen die unvergängliche Welt den Schüler auf dem Weg umgibt.

So strahlt von dieser Formel ein Licht aus, das sämtliche wesentlichen Aspekte der menschlichen Existenz erhellt. Man kann sie auch als Grundstein sehen, auf dem alles Denken über den Sinn der menschlichen Existenz aufgebaut werden muss und kann. Daraus wird sich in der Folge auch ein neues Handeln entwickeln, eine völlig neue Persönlichkeit.---


Diesem ersten Brief werden weitere folgen, je nach der Resonanz der Leser auf das jeweilige Thema, aber höchstens im Abstand von drei Monaten.
Kommentare können "z.H. Konrad Dietzfelbinger" brieflich an den Königsdorfer Verlag oder per Email an: koenigsdorfer-verlag@web.de gerichtet werden.



Mit freundlichem Gruß K.D.