15.02.23

Gnostisches Christentum - Forum für ein gnostisch-rosenkreuzerisches Christentum - 16 Brief

16. Brief, München - Februar 2023



"Kommt und seht selbst" (Johannes 1, 39)

Briefe zum gnostischen Christentum

16. Brief

Den nächsten Schritt seiner inneren Entwicklung, nach dem Wachstum des Kindes zum Jüngling, vollzog Jesus bei Johannes dem Täufer. Als sich einst die beiden Mütter, Elisabeth, die Mutter des Johannes, und Maria, die Mutter von Jesus, begegneten, war es schon zu einem für irdische Augen unsichtbaren Austausch der beiden noch im Mutterleib befindlichen Wesen gekommen: Das sechsmonatige Embryo des Johannes hüpfte vor Freude im Leib seiner Mutter Elisabeth, als es den werdenden Embryo Jesu im Leib der Maria spürte, und begrüßte ihn auf diese Art. Die Verbindung zwischen den beiden war von vornherein angelegt, so wie auf dem spirituellen Weg im einzelnen Menschen immer ein Zustand der Reue (von Johannes verkörpert) dem Zustand des Glaubens (von Jesus verkörpert) vorangehen muss.

Die Beziehung zwischen den beiden nahm nun äußere Gestalt an, als sich Jesus als junger Mann zum Aschram, wie wir heute sagen würden, Johannes des Täufers begab und dessen Schüler wurde. Johannes der Täufer war Leiter einer Asketenschule, wie es deren im Judentum mehrere gab, unter anderem bei den Essenern, und lehrte seine Schüler, die einen befreienden Weg gehen wollten, wie sie Körper und Seele als Vorbereitung auf diesen Weg zu reinigen hatten.
Somit war Johannes ein Asket, auf hebräisch Nasiräer (griechisch Nazoräer). Die Regeln des Ordens der Nazoräer sind im Alten Testament ("Buch der Richter", Kapitel 13) aufgezeichnet. Dort findet sich auch das alttestamentarische Vorbild für die Elisabeth des Neuen Testaments, die Mutter Johannes des Täufers. Wie Elisabeth ist die Mutter des Israel-Befreiers Samson "unfruchtbar" in Bezug auf durch irdische Leidenschaft empfangene "Früchte", und wird erst schwanger, nachdem ein Engel ihr die Geburt eines großen Sohnes aus der göttlichen Welt angekündigt hat. Ebenso wird Johannes der Täufer wie Samson groß sein vor dem Herrn, "und Wein und starkes Getränk wird er nicht trinken" (Lukas 1, 15).
Die asketische Ernährung ist in beiden Fällen nur Sinnbild für die Beherrschung der Leidenschaften und Bedürfnisse des Körpers und der Seele. Eine wie selbstverständlich aus dem Innern hervorgehende, nicht mühsam aufrechterhaltene ethische Haltung muss vom Mitglied des Ordens, genau so wie von jedem modernen Schüler, der sich auf einen befreienden Weg vorbereitet, errungen werden.

Die entsprechenden Forderungen Johannes des Täufers, nicht nur den Mitgliedern seines Aschrams gegenüber, finden sich bei Lukas 3, 10-14. Auch Jesus musste diese Beherrschung und ethische Haltung als Vorbereitung auf seine Aufgabe als geistiger Lehrer des Volkes Israel erlernen, und er erlernte sie bei Johannes dem Täufer. Denn wie kann ein Mensch Lehrer eines geistigen Weges sein, wenn er die Bedürfnisse und Leidenschaften des Körpers und der Seele nicht kennt und eine gewisse Selbstständigkeit ihnen gegenüber - und damit auch anderen Menschen gegenüber - erlangt hat? *)
*)
(Anmerkung: Die Asketen-Eigenschaft Jesu war der damaligen Bevölkerung und auch den Evangelisten bekannt, wenn sie Jesus in der Öffentlichkeit charakterisieren wollten, sprachen sie in manchen Fällen von seiner Herkunft - dann hieß er "Jesus Nazarenos", der Mann aus Nazareth -, in anderen Fällen von seiner Eigenschaft als früherer Asket - dann nannten sie ihn "Jesus Nazoraios".
In den früheren Bibelausgaben bis in die jüngste Gegenwart hatte sich diese Unterscheidung nicht gefunden, vielleicht weil die Theologen die Asketen-Eigenschaft Jesu nicht wahrhaben wollten. Für sie sollte er von vornherein als vollkommener Mensch auftreten. Sie übersetzten immer nur "Jesus Nazarenos" = Jesus aus Nazareth, weshalb bei ihnen an allen Stellen, wo Jesus im griechischen Text "Nazoraios" genannt wird, auch "Jesus aus Nazareth" steht. Das ist inzwischen glücklicherweise geändert worden. Die auffälligste Stelle ist die von Pilatus über dem Kreuz angebrachte Überschrift, die auch in den heutigen Bibelübersetzungen wieder lautet: "Jesus Nazoraios, König der Juden".)

Den Abschluss der Reinigungs- und Vorbereitungsphase von Jesus als Nazoräer auf seinem spirituellen Weg bildete eine Art Ritual: Jesus ließ sich von Johannes im Jordan taufen, symbolisch gesehen im fließenden Wasser der Reinigung und Reue, das alle am alten Körper- und Seelenzustand haftenden Hindernisse abwäscht. Das Ritual der Wassertaufe fasste gleichsam in einem Augenblick noch einmal alle Ergebnisse zusammen, die Jesus bei Johannes als dem Meister eines vorbereitenden Aschram erworben hatte.

Daher fragte Johannes Jesus, als dieser zu ihm an den Jordan kam: "Ich habe nötig, mich von dir taufen zu lassen, und du kommst zu mir?" (Matthäus 2, 14) Johannes der Täufer wusste, dass Jesus der Befreier Israels und der Menschheit aus der Knechtschaft im irdischen Leben sein würde und er, Johannes, diesem Wesen in keiner Weise ebenbürtig war. Jesus aber antwortete: "Lass es jetzt zu, denn so gebührt es uns, alle Gerechtigkeit zu erfüllen." Auch Jesus, obwohl er die Inkarnation der Gottesgestalt in einer noch nicht völlig verwandelten Knechtsgestalt war, hatte die Phase der Reue und Reinigung durchleben müssen, um alle Aspekte eines geistigen Weges noch einmal zu durchleben, das heißt, "um alle Gerechtigkeit", alle der Sache nach notwendigen Aufgaben, zu erfüllen, welche die Grundlagen des befreienden Weges sind. Nur so konnte Jesus der Menschheit einen vollständigen befreienden Weg bringen, der sowohl die Vorbereitung, als auch das Gehen selbst, sowie die Erfüllung umfasste. Nur so konnte er in sich selbst die aktuellen, zeitgemäßen Kräfte und Kenntnisse entwickeln, mit denen er allen anderen Menschen in allen Phasen des geistigen Weges helfen konnte.

Denn die Wiedergeburt des Geistmenschen aus dem Geist der göttlichen Kraft konnte und kann erst erfolgen, wenn die Wiedergeburt des Seelenmenschen aus dem Wasser der Reinigung vollbracht ist. Später sagte Jesus zu Nikodemus: "Wenn jemand nicht aus Wasser und Geist geboren wird, kann er nicht in das Reich Gottes kommen" (Johannes 3, 5). Die Wiedergeburt aus Wasser ist unentbehrlich, falls später eine Wiedergeburt aus Geist erfolgen soll.
Dass Johannes der Täufer sehr gut wusste, wer sich da von ihm mit Wasser taufen lassen wollte, geht aus seinen späteren Worten hervor: "Ich taufe euch mit Wasser zur Buße, der aber nach mir kommt, ist stärker als ich ... Er wird euch mit heiligem Geist und mit Feuer taufen ... die Spreu aber wird er mit unauslöschlichem Feuer verbrennen." (Matthäus 2, 11- 12) Und: "Wer von oben her kommt, der ist über allen, wer von der Erde her stammt, der stammt von der Erde und redet von der Erde her." Jesus in seiner Eigenschaft als der kommende Gesalbte, der Christus, der mit dem Feuer des Geistes tauft, ist als Gottesgestalt von himmlischem Wesen. Johannes ist als irdischer Mensch, wenn auch von höchster Art, eine Knechtsgestalt.

Und deshalb sagt er von Jesus: "Jener muss wachsen, ich aber abnehmen" (Johannes 3, 30) In diesen Worten verbirgt sich wieder die unbedingte Forderung des befreienden Weges: Wer die Befreiung von der irdischen Welt erlangen will, muss sein irdisches Wesen, seine eigenwillige Knechtsgestalt, im inneren Christus, seiner Gottesgestalt, verlieren, damit er die Gottesgestalt findet.

Matthäus fährt fort: "Als aber Jesus getauft worden war, stieg er alsbald aus dem Wasser, und siehe, die Himmel taten sich auf, und er sah den Geist Gottes wie eine Taube herabschweben und auf ihn kommen." (Matthäus 3, 16) In dem "alsbald" liegt die Aussage, dass Jesus sofort, nachdem er die asketische Phase der Vorbereitung bei Johannes dem Täufer beendet hatte, in die eigentliche Phase des geistigen Weges eintrat: die Phase des Lebens aus dem göttlichen Geist, dem Feuer. Dass der "Geist Gottes" wie eine Taube auf ihn herabschwebte, ist Bild für diese Taufe mit dem heiligen Geist, die Jesus später auch selbst an seinen Schülern vollzog.

In diesem Moment der Taufe mit dem heiligen Geist wurde der besondere Mikrokosmos, der sich mit der "Knechtsgestalt" Jesu verbunden hatte, wirksam. Dieser Mikrokosmos war (siehe 15. Brief) niemals von Gott abgefallen und hatte alle seine ursprünglichen göttlichen Eigenschaften beibehalten. Sie waren nur beim Eintritt in den Embryo Jesu unwirksam geworden und hatten vorläufig ihre Ausdrucksmöglichkeit verloren.
Jetzt aber, bei der Taufe Jesu mit dem heiligen Geist, zeigte sich, dass diese Ausdrucksmöglichkeit zu einem Teil wieder zurückgewonnen worden war. Jesus musste nicht, wie ein gewöhnlicher, von Gott getrennter Mikrokosmos, einen verkümmerten Mikrokosmos neu aufbauen. Sein ganzer Mikrokosmos war von Anfang an vollkommen intakt. Dieser selbst nahm stets in dem Maß, wie sich seine Persönlichkeit veränderte, die damit verbundenen neuen Ausdrucksmöglichkeiten wahr. Das Geistfeuer seines Mikrokosmos drang jetzt in seine Persönlichkeit ein und drückte sich darin aus. Jesus wurde zum mit dem göttlichen Geist "Gesalbten", zum "Christus" ("Christus" heißt Gesalbter, es ist der selbe Begriff wie das hebräische "Maschiach", das griechisch zu "Messias" wurde.)

Die "Taube" ist Sinnbild für den besonderen Aspekt des heiligen Geistes, den Jesus der Menschheit brachte: Die Grundlage für die Befreiung der Menschheit von der Gefangenschaft in der irdischen Welt ist die göttliche Liebe. Nur sie ist, als die Grundlage der göttlichen Welt, auch die Grundlage und Kraft, die den Menschen von seiner Knechtschaft im Ich und in der irdischen Welt erlösen kann. Zur göttlichen Liebe gehören gleichberechtigt die göttliche Weisheit und Macht. Aber die göttliche Liebe allein ist im Stande, die irdische Macht von unten herauf zu entwurzeln.

Die Taufe am Jordan, der tiefsten geologischen Stelle der irdischen Welt, ist ein Bild für die tiefe Versunkenheit des Menschen in der Unfreiheit und Un-Liebe des irdischen Lebens, aus der er nur durch die göttliche Liebe befreit werden kann. Die Taufe mit Feuer bedeutet daher, dass sich die Gottesgestalt, deren sich dieses höchste Wesen durch seine freiwillige Inkarnation in einer irdischen Knechtsgestalt "entäußert" hatte, wieder mit der bewusst gewordenen Knechtsgestalt vereinigte und dadurch wieder auflebte. So wurde Jesus zum Christus, zum mit dem heiligen Geist Gesalbten, und damit zu einem Sohn des "Vaters" im Reich Gottes, zu einem bewussten, mit allen Eigenschaften Gottes wie Wahrheit, Liebe und Gerechtigkeit ausgestatteten ursprünglichen Menschen.
Die lange Zeit seiner Kindheit und Jugend, in der er als eine Knechtsgestalt leben musste und sich bei Johannes dem Täufer auf den Empfang der Gottesgestalt vorbereitete, deren er sich seinerzeit "entäußert" hatte, war vorbei. Er empfing die vorübergehend ohne Ausdrucksmöglichkeit gebliebene Gottesgestalt zurück, die er jetzt, nach seiner asketischen Phase der Vorbereitung, in sich aufnehmen konnte. Und die Stimme aus den Himmeln bestätigte das durch die Worte: "Dies ist mein geliebter Sohn" (Matthäus 3, 17. Alte Texte fügen hinzu: "... mein geliebter Sohn, heute habe ich ihn gezeugt.") Gott der Vater hat seinen Sohn natürlich nicht durch einen biologischen Samen gezeugt, sondern durch sein Wort. Er hat die "Gottesgestalt", deren sich der Christus "entäußert" hatte, durch die Taufe mit Feuer wieder mit sich verbunden und ihn erneut als seinen "geliebten Sohn" eingesetzt.

Das sind die ersten beiden großen Phasen des befreienden Weges im Christentum. Sie müssen in jedem einzelnen Schüler auf dem Weg durchlebt werden. In jedem einzelnen Schüler kann und wird zunächst eine Vorbereitung im Zeichen Johannes des Täufers stattfinden, der mit dem Wasser der Reue tauft, und danach der Empfang des heiligen Geistes, des Feuers, mit dem der Jesus in ihm fortan wirkt. Diese zweite Phase geht, wie sich im späteren Leben Jesu zeigt, am Ende in die letzte Phase über: in die Auferstehung der gesamten Gottesgestalt, nachdem der Schüler die Knechtsgestalt endgültig abgelegt hat.
Die folgenden Berichte der Evangelien schildern das Leben Jesu, als er zum Christus geworden war, das Feuer des heiligen Geistes in ihm zu wirken begonnen hatte und immer mehr durch die sich wandelnde Persönlichkeit zum Ausdruck kommen konnte.


Die Erfahrungen eines Schülers auf dem Weg der Vorbereitung werden treffend in dem folgenden Gedicht von C.Cate geschildert:

Erwache,
So wie Er erwacht.

Erkenne dich,
So wie Er dich kennt.
Und wie in jeder Erscheinung
Er scheint.

Erreichen
Ist dein Bestreben.
Denn Er reicht dir alles.

Erwarten
Ist deine Hoffnung.
Denn Er wartet nur
Auf deine Hingabe.

Suche kein Ergebnis.
Ergebe dich Ihm.
Denn Er gibt alles.

Erklären willst du.
Während Er dich klärt.

Suche keine Lösung.
Denn Er löst.

Ergänzen willst du,
Während Er ganz in dir ist.

Ertrage deines.
Denn Er trägt alles.

Brich in Zuversicht,
Wenn Er dich bricht.

Wage dein Leben.
Denn Er wagte dir die Freiheit zu geben.

Erfülle,
So wie Er erfüllt.

Du musst dich an nichts zu sehr er-götzen,
Denn Er, Gott, ist die Fülle.

Erlebe,
Denn Er lebt. In dir.

Und wenn du dich ver-liebst,
Denke daran,
Dass Er die All-Liebe ist.
In allem.




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