08.11.23

Gnostisches Christentum - Forum für ein gnostisch-rosenkreuzerisches Christentum - 22 Brief

Briefe zum gnostischen Christentum

 

„Kommt und seht selbst!“ (Johannes 1, 39)

 München, November 2023

 

22. Brief:   Die Bergpredigt IV: neue Lebensführung der Jesusschüler

 

Das zweite neue Gebot Jesu bezieht sich auf die Begierde des Schülers: „Du sollst nicht ehebrechen“, lautet das alte Gesetz. Auch das ungezügelte Verhalten des Menschen gegenüber gegenwärtigen oder zukünftigen Sexualpartnern ist eine Eigenschaft des natürlichen, oft noch archaischen Ichs, das sich durchsetzen und seine Wünsche befriedigen will.

Es geht bei dem neuen Gebot Jesu aber nicht in erster Linie um das alttestamentarische Verbot des Ehebruchs, der von der Begierde des Ehemanns nach einer anderen Frau ausgelöst werden und große, oft irreparable  Störungen im seelischen und sozialen Leben verursachen kann. Es geht um Begierde überhaupt als einer Grundeigenschaft des irdischen Menschen, welche die Klarheit des ganzen neuen Leibes zu trüben vermag. Ein vom neuen Seelenlicht erfüllter, begierdeloser Schüler Jesu empfindet jede wieder auftauchende Begierde als eine störende Spannung im ganzen Körper, als eine Trübung der den Körper durchziehenden Klarheit. Er empfindet sie als Freiheitsberaubung, als Herrschaft eines dunklen Zustands, der seine neue Persönlichkeit entmündigt und ihn wieder in totale Abhängigkeit von einer inneren oder äußeren fremden Kraft zurückziehen will. Das gilt genau so für sexuelle Begierde, auch nach der eigenen Frau oder dem eigenen Mann, wie für Begierde nach einem ersehnten Objekt, einem Haus, einer Reise, einer Geldanlage.

Eine solche wieder erlebte Abhängigkeit erschreckt einen Schüler, der schon die Freiheit von Begierden erlebt hat, ungemein. Deshalb die harte Rede Jesu an einen solchen Schüler, die sinngemäß lautet: Wenn du bemerkst, dass dich ein inneres, heißes Begehren nach irgend einem Objekt oder Menschen in Besitz nehmen will, so gebiete ihr radikalen Einhalt. Du kannst es mittels deiner schon gewonnenen Einsicht in die Gefährlichkeit einer solchen Situation für dein neues Leben. „Es ist besser, wenn eines deiner Glieder verlorengeht, als dass dein ganzer Leib in die Hölle kommt.“ ( Matthäus 5, 30)

„Hölle“ bedeutet wie immer in den Evangelien nicht nur einen schrecklichen Zustand der Seelenstörung in der Gegenwart, sondern erst recht nach dem Tod. Es ist hier der Zustand einer totalen Unfreiheit und Selbstauslieferung der Seele an eine fremde, heiß wie Feuer brennende Begierdenkraft. Nur eine lange, schmerzhafte, unausweichliche Begegnung nach dem Tod mit dieser Begierdenkraft, und die durch den Schmerz verursachte Läuterung wird Abhilfe bringen. Dieser Schmerz ist die „Hölle“.

Besonders deutlich wird der Wert dieser Regel für das neue Bewusstsein eines Schülers in einer Welt, wo die Ehe oft nur noch als bloße Tradition, oder überhaupt jede beliebige Beziehung nur als Befriedigung eines Begehrens betrachtet wird. Denn unter solchen Bedingungen wird ein Mensch, auch ein Schüler, nicht mehr empfinden oder erkennen, ob ein begehrter Mensch seinem Wesen entspricht – sei es als  Gleichgesinnter, sei es als erwünschter Gegensatz – und ob eine eventuelle Beziehung dauerhaft sein wird. Die Möglichkeit, dass solche Beziehungen schnell wieder scheitern, wird die Enttäuschungen durch die „Liebe“, den damit verbundenen Schmerz und die Zerstörung der Seelen vervielfachen. Deshalb die dauernde  Partnersuche in der digitalen Welt.

Was ist überdies von homosexuellen Ehen zu halten, die bei manchen als große aktuelle Errungenschaft und Fortschritt zur individuellen Freiheit gelten? Nach spiritueller Einsicht wird ein Mann als solcher geboren, um einen karmischen Auftrag als Mann, ebenso eine Frau als Frau, um einen karmischen Auftrag als Frau zu erfüllen. Ein physikalisches Gesetz besagt, dass sich gleichnamige Pole abstoßen, gegensätzliche Pole anziehen. Wie wirkt dieses Gesetz in einer gleichgeschlechtlichen Beziehung oder Ehe? Was geschieht seelisch mit einem abgestoßenen Pol, der seinen karmischen Auftrag als Mann oder Frau nicht mehr erfüllen kann? Er wird auf die Dauer zerstört werden.

Nur eine aus Besinnung hervorgehende innere Selbstständigkeit, die einschätzen kann, wie echt die Empfindungen des eventuellen Partners oder der eigenen Persönlichkeit sind, kann hier vorbauen und Leid und Enttäuschung weitgehend verhindern. Zur Zeit Jesu war es wohl noch möglich, dass Ehen bewusst „im Himmel geschlossen“ wurden. Ein Paar auf dem spirituellen Weg konnte vielleicht im Licht der schon gewonnenen Selbstständigkeit erkennen, ob seine Bindung auf der Grundlage zweier Seelen erfolgte, die schon vom neuen, inneren Gesetz der Bergpredigt geleitet wurden.

Da Jesus in seiner Bergrede an die Schüler davon ausging, dass ihre Ehen „im Himmel geschlossen“ waren, legte er besondere Maßstäbe an eventuelle Trennungen an. Das Jahwe-Gesetz, gültig für irdische Menschen in Vorbereitung auf den spirituellen Weg, erlaubte noch, eine Frau zu entlassen und ihr einen gesetzlich vorgeschriebenen Scheidebrief zu geben. Das neue, von Jesus gegebene spirituelle Gebot in Bezug auf Schülerehen berücksichtigte aber deren besondere spirituelle Grundlage. Wenn ein solcher Schüler seine Frau entlässt und ihr eine neue Ehe ermöglicht, gibt er Anlass, dass der neue Partner, der eine so „Entlassene“ heiratet, ihr gegenüber „Ehebruch“ begeht. Er zerstört das Band, das trotz der "Entlassung" immer noch zwischen den früheren Ehepartnern besteht. Denn wenn die frühere Ehe wirklich auf einer spirituellen Grundlage geschlossen und nicht nur rituell beglaubigt wurde, unterliegt sie anderen Maßstäben als eine Ehe auf irdischer Grundlage. (Matthäus 5, 32)

Das dritte neue Gebot, das Jesus seinen Schülern auf dem Berg des Geistes der Wahrheit gibt, bezieht sich auf das selbstverständliche Sprechen der Wahrheit. Denn nur das Licht der Wahrheit, das einen Schüler erfüllt und ihm das Gefühl gibt, im Einklang mit den Gesetzen des Geistes zu leben und zu reden, wird ihn glücklich machen. Seine Worte werden dann wie selbstverständlich aus der in der Seele wirkenden göttlichen Wahrheit und Kraft hervorgehen. Deshalb ist ihm eine Lüge unmöglich, die ihn unmittelbar von dieser in ihm wirkenden Wahrheit trennen würde.

Zu Jesu Zeiten versuchte ein Sprecher, seine Hörer durch Schwüre von seiner Ehrlichkeit zu überzeugen. Er rief hohe Instanzen zu Zeugen seiner Wahrheitsliebe an: den „Himmel“, die „Erde“, die Stadt „Jerusalem“ und das eigene „Haupt“. Aber Jesus wandte ein:  Keiner von euch verfügt doch über „Gottes Thron“ (den Himmel), „Gottes Schemel“ (die Erde), Gottes heilige Stadt (Jerusalem) und sein eigenes Leben, das „Haupt“. Wie kann er sich da anmaßen, diese Prinzipien als Zeugen für seine Wahrheitsliebe aufzurufen?

Da die Welt von Lüge erfüllt ist, liegt jedoch auch heute für einen Sprecher, auch einen Schüler auf dem spirituellen Weg, immer die Versuchung nahe, seine Hörer irgendwie von der Wahrheit seiner Worte  überzeugen zu wollen. Aber ein solcher Nachdruck stammt doch aus dem irdischen Willen des Sprechers und stört den freien Fluss seiner aus Herz und Haupt hervorgehenden Rede. Gerade der Nachdruck eines Sprechers kann falsche Töne hervorbringen und einen sensiblen Hörer an dessen Wahrheitsliebe zweifeln lassen.

Auch Versuche, besonders schön, kunstvoll oder gebildet zu sprechen, tragen nichts zur Überzeugungskraft von Worten bei. Und auch wenn ein Schüler als Redner glaubt, besonders bescheiden oder kraftvoll sprechen zu müssen, hindert er die aus dem Herzen kommende Wahrheit an ihrer Wirkung. Aus all diesen Gründen schlägt Jesus vor, ohne absichtliche Beanspruchung der Stimmbänder klar aus der Seele zu sprechen und nur mit aller Deutlichkeit und möglichst einfach, mit „jaja“ und „neinnein“, die Wahrheit zum Ausdruck zu bringen.

 „Ich aber sage euch, dass ihr dem Bösen nicht widerstehen sollt“ (Matthäus 5, 39), lautet das vierte neue „Gebot“ Jesu.

Die Angriffe des Zorns und der Begierde auf den neuen Seelenzustand kommen von innen. Das „Böse“ aber sind die Angriffe von außen, zum Beispiel aus der politischen Machtsphäre, die meistens die Freiheit des Menschen einschränken will oder ungerechte Forderungen stellt. Hier gilt laut Jesus ebenfalls nicht mehr das alte Jahwe-Gesetz für den Schüler auf dem Weg, das Gesetz des „Auge um Auge, Zahn um Zahn“. Es gilt das neue, von Jesus gebrachte Seelen-Gesetz, der neue Seelenzustand, der aus den göttlichen Kräften lebt.

Dieser neue Seelenzustand muss gegen Angriffe von außen geschützt und bewahrt werden, aber nicht mit Gewalt. Gewaltsamer Widerstand gegen das Böse würde den neuen Seelenzustand verhärten, gegen die Einflüsse von oben aus der göttlichen Welt abschotten und dadurch den Schüler selbst wieder „böse“ machen. Deshalb ist hier eine kluge Praxis des vorläufigen Zurückweichens vor dem Bösen angebracht, ein scheinbares Mitgehen, das dem Bösen keine Angriffsflächen bietet und ihm den Wind aus den Segeln nimmt. Das ist das „Nicht-Widerstehen“. Es ermöglicht dem Schüler, frei von Konfrontation, Streit und Verhärtung zu bleiben, das Böse, ohne Verlust der eigenen Freiheit, kennen zu lernen und zu entmachten, vielleicht die Kraft des Bösen sogar in positive Energie umzuwandeln.

Die Anweisungen Jesu, dass der Schüler bei einem Schlag auf seine Backe dem Gegner auch „die andere Backe darbieten“ solle, oder die Entscheidung eines Richters, dem Gegner den Rock zuzubilligen, noch zu überbieten und ihm auch den Mantel zu lassen, sind Bilder für diese Art des zurückweichenden, streitlosen Schülerverhaltens.

Das Böse „Geschehen-Lassen“ ist vielleicht die beste Bezeichnung für ein solches Verhalten, das dem Schüler nur dazu dienen soll, dem Bösen nicht durch Widerstand und Streit anheimzufallen oder ihm wieder gleich zu werden. Denn das Böse „geschehen lassen“ heißt nicht, es zu billigen, sondern nur, ihm nicht Trotz zu bieten und es dadurch ins Leere laufen zu lassen. Das gilt auch für weniger böse Angriffe von außen wie „Nötigung“ oder „Aufdringlichkeit“. Wer so etwas abwehrte, könnte sich den Zorn des Bittenden zuziehen und in Streit mit ihm geraten. Das aber wäre wieder ein Sieg des Bösen über die starke Ruhe des neuen Seelenzustands, die den Schüler mit der göttlichen Welt verbindet.

All dies gilt nur für das Verhalten eines Schülers, soweit er sich auf dem spirituellen Weg befindet. Er ist ja trotz seines Schülertums immer auch noch der irdische Ich-Mensch, der für sein irdisches Leben und das seiner ihm anvertrauten Menschen verantwortlich ist. Wie würde eine Regel wirken, dass ein Mensch, in dessen Haus eingebrochen wird, den Einbrecher nicht mehr stellen, oder dass ein Volk, das überfallen wird, sich nicht mehr wehren dürfte? Auch sein irdisches Leben muss der Schüler so gestalten, dass die äußeren Existenzbedingungen für seinen Weg erhalten bleiben.

Hier gilt die an anderer Stelle von Jesus vorgetragene Schüler-Regel: Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott was Gottes ist. Der Schüler muss klug entscheiden, wo er als irdischer Mensch Stellung beziehen, oder wo der Frieden seines spirituellen Zustands Vorrang haben sollte. Widerstand gegen das Böse kann diesen Frieden und die spirituelle Entwicklung stören. Aber unterlassener Widerstand gegen das Böse könnte in vielen Fällen das irdische Leben, das doch die Grundlage für den spirituellen Weg ist, gefährden.

Weiter legt Jesus seinen Schülern ans Herz, „Söhne (und Töchter) ihres Vaters im Himmel“ zu sein. Denn der Vater liebt alle Menschen, Böse und Gute, gleichermaßen. Er lässt seine Sonne über alle aufgehen und lässt regnen über Gerechte und Ungerechte. Eine solche Vollkommenheit des Schülers würde bedeuten, dass auch er alle Menschen, Feinde wie Freunde, gleichermaßen liebte.

Da wird jeder normale Ich-Mensch sagen: „Das ist unmöglich, das kann ich nicht und werde es niemals können. Wie viele Menschen, denen ich begegne, sind mir schon auf den ersten Blick unsympathisch, und wie sollte ich Menschen auch nur leidlich mögen, deren geheime und offene bösen Taten und Gedanken ich kenne! Natürlich liebe ich jemanden, der mich ebenfalls liebt, und grüße meine Brüder freundlich. Doch alle anderen Menschen sind mir gleichgültig oder, wenn sie mich verfolgen, verhasst.“

Aber Jesus spricht zu Schülern auf dem spirituellen Weg, vom Berg der göttlichen Höhe aus. Er rechnet damit, dass sich in den Schülern schon, von oben her eingesenkt, eine gewisse Möglichkeit zur allgemeinen Menschenliebe entwickelt hat, die weiter wachsen kann, bis die Möglichkeit zur Wirklichkeit geworden ist. Es ist die Fähigkeit zur Liebe des ganzen Herzens, ganzen Hauptes und des ganzen Menschen, die das alte Ich mehr und mehr ersetzt. Sie durchglüht den ganzen Leib und bestimmt selbstverständlich auch das Auge. Ein solcher Schüler erblickt zumindest die Anlage zur Liebe des Vaters in jedem Menschen. Und dann wird seine eigene Anlage zur Liebe, vielleicht schon mehr oder weniger entwickelt, Resonanz auf eine ähnliche Anlage im anderen Menschen geben, wodurch er dessen unsympathische Eigenschaften kaum noch wahrnimmt.

Es gibt eine psychologische Technik, die darauf hinausläuft, die Liebe zum eigenen Ich zu entwickeln, in der Hoffnung, dass nur, wer sich selbst liebt, auch andere lieben kann. Aber wie gut eine solche Übung auch wirken mag – das fremde Ich wie das eigene zu lieben, hat nichts mit der göttlichen Liebe zu tun, die Jesus meint. Die göttliche Liebe ist eine Urkraft, seit Entstehung des Kosmos schöpferisch wirksam. Sie ist das Wesen Gottes selbst, und auch der ursprüngliche Mensch, aus Gott hervorgegangen, trägt diese Liebe als Anlage in sich selbst. Er kann sie nur dadurch wachsen lassen, dass er all die Eigenschaften im eigenen Ich erkennt und dadurch schwächen lässt, die den anderen als Feind sehen müssen.

Erst wenn der Schüler durch Ich-Preisgabe ein Seelen-Wesen entwickelt, das aus der göttlichen Anlage in ihm stammt, kann er die selbe Anlage im anderen erkennen. Dann wird er auch erkennen, wie alle anderen, ihm vielleicht so unsympathischen Eigenschaften des anderen nur dessen Versuche sind, dem wahren Seelen-Selbst Ausdruck zu geben. Jeder Mensch befindet sich auf einer bestimmten Entwicklungsstufe des Ichs oder ist schon von der Jesus-Kraft berührt. Sobald der beobachtende Schüler gelernt hat, seine eigenen Ich-Eigenschaften zu Gunsten der neuen Liebe abzulegen, wird er auch die feindseligen oder liebenswerten Ich-Eigenschaften im anderen als vorläufig und weniger wichtig erkennen. Dadurch wird seine Antipathie oder Sympathie mit solchen Eigenschaften abnehmen, und allmählich wird sein Blick nur noch die Anlage zur göttlichen Liebe im anderen ernst nehmen.

Liebt übrigens Gott alle Menschen, Ungerechte wie Gerechte, tatsächlich in gleichem Maß? Schickt er nicht den Ungerechten oft ein schönes Leben und den Gerechten Leid und Unglück? Wer auf seinem Weg schon ein wenig aus der göttlichen Liebe zu leben gelernt hat, wird entdecken, dass all diese Schickungen nur den Sinn haben, die Menschen auf ihren Seelen-Kern der Liebe aufmerksam zu machen und ihnen den Weg dorthin zu zeigen.

„Ihr nun sollt vollkommen sein, wie euer himmlischer Vater vollkommen ist.“ Wer gibt dem unvollkommenen Menschen eine solche Chance zur Vollkommenheit, wenn nicht der vollkommene Vater selbst? Denn die Liebe des Vaters will auch im Schüler wach werden und bis zur Vollkommenheit wachsen.

 

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