20.01.24

Gnostisches Christentum - Forum für ein gnostisch-rosenkreuzerisches Christentum - 24. Brief

Briefe zum gnostischen Christentum


 „Kommt und seht selbst!“ (Johannes 1, 39)           München, Januar 2024

 

24. Brief:   Die Bergpredigt VI: Die letzten Hinweise an die Schüler

 

Die meisten Menschen, auch wenn sie schon Schüler Jesu sind, sorgen sich in übertriebener Weise um Leib und Leben. Das liegt vor allem daran, dass sie kein festes, bewusstes Ziel für ein neues Leben in der Ewigkeit haben: nämlich einen verwandelten unvergänglichen Leib und ein entsprechendes Leben aufzubauen. Deshalb nehmen sie Leib und Leben in der irdischen Welt zu wichtig. Sie kümmern sich um  Wohlergehen und Genuss für Leib und Leben und vergessen dabei das eigentliche Ziel ihres Lebens: den Weg ihrer Seele in der göttlichen Kraft, auf dem die Wichtigkeit ihres sterblichen Leibes und Lebens in dem Maß abnimmt, wie sie sich auf das Ewigkeitsprinzip in ihrem Wesen besinnen und es sich entfalten lassen.

In diesem Sinn hatte Johannes der Täufer gesagt: „Jener muss wachsen, ich aber abnehmen“ (Johannes 3, 30). Die neue Seele, verkörpert durch Jesus, muss wachsen, und sie kann wachsen in dem Maß, wie die Konzentration auf den sterblichen Ich-Menschen und dessen Bedürfnisse abnimmt. Wer so lebt, wird den irdischen Dingen nur noch die Bedeutung beilegen, die zum irdischen Leben, wie Kleidung, Nahrung und Wohnung, und für den Schülerweg notwendig sind,  keine übertriebene Angst vor der Zukunft haben und das tun, was für  die nächste Zeit erforderlich ist..

Jesus versucht dabei an die Vernunft der Hörer zu appellieren: Könnt ihr durch noch so große Sorgen euer Leben verlängern? Es genügt, das Notwendige für die Gestaltung eines maßvollen Lebensstandards zu tun, alles andere ist von Übel. Sorgt der Vater nicht auch für das Leben der Vögel und Blumen? Warum sollte er es bei euch vergessen? Die immer größeren Sorgen rauben euch die seelischen Energien, die ihr besser für die Anforderungen eures Schülerwegs verwenden könntet. Ständig an die Zukunft und mögliches Unglück darin zu denken, nimmt euch die Kraft, das für den Weg Notwendige zu tun.

Denn der Führer auf dem inneren Weg, das Geistprinzip in der Seele, weiß, was der Schüler braucht. Dieses Innerste der Seele ist wie ein zuverlässiger Kompass. Es zeigt ihm bei jedem Schritt auf seinem Lebensweg das Verhalten, das für seinen Weg am günstigsten ist, auch wenn es scheinbar Unglück und Unannehmlichkeiten für das Ich mit sich bringt. Und kann er nicht auch in den neuen Seelenkräften und dem dadurch entstehenden Lebensmut neue irdische Wege entdecken, um seinen Alltag zu verbessern? Der Schüler wird darauf vertrauen, dass sich auf seinem Weg die Dinge so entwickeln werden, wie sie für seinen Weg am günstigsten sind. Das Leben wird ihn vor Situationen stellen, die ihm auf dem Weg helfen und ihn voranbringen.

 Doch könnten diese Worte Jesu, die auch in der Tradition des Volkes lebendig waren, Protest auslösen. Wird nicht das schöne Kleid der Blumen durch Krankheiten und Schädlinge zerrissen? Werden nicht die Blumen selbst auf jeden Fall sterben? Natürlich verstreuen sie ihren Samen und erstehen im nächsten Jahr wieder auf. Doch das ist nur ein geringer Trost.

Und worin besteht denn die Mehrzahl der menschlichen Lebensläufe? Überall ist der Mensch von Feinden umgeben, die ihm Kleidung, Nahrung und Wohnung missgönnen oder rauben. Gesellschaftliche Strukturen verursachen für viele Menschen ständige Armut, Krankheit, Unterdrückung und verfrühten Tod. Sind das schöne erfüllte Lebensläufe wie das des Königs Salomo? Sorgt Gott so für seine Menschen? Überdies hat der denkende Mensch Verantwortung für sein Leben und muss auch langfristig vorsorgen. Wenig kann er mit Sicherheit voraussehen, zum Beispiel Hungersnöte oder Naturkatastrophen.

Als denkendes Wesen hat er die Pflicht, vorausschauend sein persönliches und soziales Leben zu ordnen.  Sollte ihn Jesu auffordern, aufzuhören, selbst sein Leben zu meistern? Und wie ist der Satz zu verstehen: Euer himmlischer Vater weiß, dass ihr all dieser Dinge wie Kleidung, Nahrung, Wohnung und Gesundheit bedürft, und hilft euch in Notfällen? Die Wirklichkeit zeigt doch, dass viele Menschen diese Dinge auch mit härtester Arbeit nicht bekommen, und überhaupt verkommen. Wo bleibt da die Vorsorge des himmlischen Vaters? Man könnte höchstens sagen, dass der himmlische Vater durch die Einrichtung des Schicksals, das alle Menschen, ob gut oder schlecht, auf die Dauer gerecht behandelt, auf den bestmöglichen Lebensweg geleitet.

Jesus hat seine Schüler mit diesen Beispielen wohl nur ermuntert, ihr Auge auch auf die Schönheiten der Welt zu richten, und ein Vertrauen darauf zu entwickeln, dass sogar die bösen Seiten der Welt ihren guten Sinn haben. Vor allem sollten sie sich nicht selbst das Leben dadurch vergällen, dass sie sich zu große Zukunftssorgen machen und Angst vor dem Tod haben. Wissen sie denn nicht, dass sie nach dem Tod kein dunkles Nichts erwartet? Wichtige Aufgaben warten auch nach dem Tod auf sie.

Schließlich gibt Jesus seinen Schülern das Gebot, einander nicht zu richten. Die Missachtung dieses Gebots   hat in der Geschichte der Schülergemeinschaften schon großes Unheil angerichtet. Es geht hier um die Beurteilung der Schüler unter einander, ob der andere seinen Weg „richtig“ geht, ob er der Gemeinschaft oder dem Gottesplan „richtig“ dient oder eher schadet. Welcher Schüler kann aber den Mitschüler richtig beurteilen, da er doch dessen Gesamtsituation und Schwierigkeiten nur zum kleinsten Teil kennt? Sollte deshalb jeder Schüler besser davon ausgehen, dass der andere es gut meint, und deshalb auf jede Kritik verzichten? Er selbst ist nicht vollkommen, sein Urteil wird kaum immer richtig sein. Er urteilt oft mit seinem alten Bewusstsein, erkennt nicht wie Jesus die innere Lage des anderen, weiß nicht, ob er den anderen eine Zeitlang sich selbst überlassen muss, auch wenn dieser dadurch vielleicht Schaden für sich selbst und die Gemeinschaft anrichtet.

Und wird er sich selbst durch seine Kritik nicht an den anderen binden und diesen an sich selbst, statt ihn frei zu lassen und ihm neue Seelenkräfte mitzuteilen, die ihm schon helfen werden, aus seiner Fehlerhaftigkeit – falls er nicht richtig liegt – herauszufinden ? Helfen denn Vorwürfe, die den andern nur verunsichern oder reizen?

„Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet!“ Kritik ist eine Handlung des Verstandes, der doch selbst nicht fehlerfrei ist. Oft sieht der selbst Fehlerhafte seinen eigenen Fehler nicht, aber am anderen um so besser. Also „Was siehst du den Splitter in deines Bruders Auge, des Balkens jedoch in deinem Auge wirst du nicht gewahr?“ Solche Kritik des Verstandes, aus einem beschränkten Ich-Bewusstsein heraus, hält die Beteiligten, und besonders den Kritiker selbst, nur noch fester im alten Ich-Zustand. „Mit welchem Gericht ihr richtet, mit dem werdet ihr gerichtet werden.“

Vor allem wird ein solches Verhalten zu Streit und immer heftigerem Streit führen. Denn Vorwürfe reizen, und Vorwürfe seitens eines nicht akzeptierten Mitschülers werden vom Kritisierten gewiss nicht ernst genommen, und unter Umständen scharf zurückgewiesen. Welche Atmosphäre wird in einer Schülergemeinschaft entstehen, in der solche gegenseitige Kritik gang und gäbe ist?

Das alles betrifft Vorgänge, die sich auf der Ebene der Seele und des Seelenwegs abspielen. Wie aber steht es um ein Ich-Verhalten von Schülern, das der Ethik des Schülertums nicht entspricht? Wenn ein Schüler zum Beispiel einen anderen verleumdet? Oder sich nicht an den notwendigen Arbeiten zur Erhaltung der Unterkünfte beteiligt? Matthäus 18, 15 ff. gibt Jesus als Leiter seiner Schülergemeinschaft die Anweisung: „Wenn aber dein Bruder sündigt, so geh hin und weise ihn zurecht unter vier Augen“. Wenn das nichts hilft, geh zusammen mit anderen Brüdern zu ihm und so fort … Wenn auch das vergeblich ist, bringe ihn schließlich „vor die Gemeinschaft“. Und sollte er auch dann noch uneinsichtig sein, „sei er dir wieder“ wie ein unbelehrbarer Ich-Mensch.

Das neue Seelenwesen aber versteht und umfasst das Wesen der anderen Schüler, ihre Schwierigkeiten auf dem Weg, ihren vielleicht noch unzulänglichen Seelenzustand, aber auch ihre Bemühungen um Einsicht und Läuterung – und durch eine solche Umfassung geht sicher ein hilfreicher Einfluss vom einen zum anderen aus. Das Bewusstsein, dass der Weg darin besteht, ein immer helleres, freieres, wahreres Seelenwesen wachsen zu lassen, wird sich allmählich in der ganzen Schülergruppe verbreiten, jeden Schüler wohltuend umgeben und ihm helfen, seinen Mitschülern Fehler zu vergeben.

Eine Folge solchen Verhaltens wird unter anderem eine neue Art des Gebets sein. „Denn jeder, der bittet, empfängt.“ Der Schüler muss nur verstehen, was Beten eines Schülers ist. Beten heißt für ihn in erster Linie, dass er Herz und Denken für die von oben her kommende neue Seelenkraft öffnet. Nur so wird er betend nicht an Jenseits-Wesen geraten, die ihm falsche Versprechungen machen. Sodann bittet er nicht um bestimmte Dinge, sondern erstens um die Einsicht, was ihm an notwendigen Eigenschaften für den Weg noch fehlt, und zweitens, dass ihm die Kraft gegeben werde, das Fehlende zu erringen. Denn ihm ist bewusst, dass der Vater schon im voraus weiß, wessen er als irdischer Mensch und als Schüler bedarf. Er ist auf dem Weg zum Vater, und der Sohn des Vaters, der Jesus-Mensch, wirkt in ihm. Deshalb darf er sicher sein, dass er stets das erhält, was ein geliebter Sohn vom Vater empfängt.

Er wird mit Gewissheit immer das bekommen, was ihm auf seinem Weg weiterhilft. Er wird nur Gutes erhalten, auch wenn es seinem Ich-Wesen mitunter als Härte erscheint. Denn auch das Ich-Wesen bekommt auf dem Schülerweg die Einsicht und die Kraft, in seine Hingabe an das Seelenwesen einzuwilligen.

Eine gute Leitlinie für das Verhalten auch eines bereitwilligen und einsichtigen Ich-Menschen ist die uralte Regel, die Jesus hier zitiert. „Alles nun, was ihr wollt, dass es euch die Menschen tun, das sollt auch ihr ihnen tun.“ Wer so handelt, handelt im Sinne des Jahwe-Gesetzes, das auf den Seelen-Weg vorbereitet, und der Propheten, von denen Johannes der Täufer, der Vorläufer des Christus, der größte ist. Er handelt vernünftig, weil er auf diese Weise anderen und sich selbst am wenigsten Schaden zu fügt.

Nachdem Jesus seine Lehren an die Schüler vorgetragen hat, warnt er vor falschen Propheten und Lehrern, die bestimmte Verhaltensweisen empfehlen, deren Befolgung Erlösung oder Meisterung des Lebens bewirken soll. Sie verstellen sich oft als große hilfreiche Meister, im Hintergrund ihres Wesens lauern aber Absichten, von ihren Schülern Geld und Anerkennung zu erhalten und die geheime Lust, Macht auszuüben. Deshalb spricht Jesus von ihnen als „räuberischen Wölfen“ (Matthäus 7, 15).

Wie ist ihre Verstellung zu durchschauen? Die beste Methode ist, darauf zu achten, was sie in ihren eigenen Schülern bewirken, und welche „Früchte“ ihre Schulungen und Lehren bringen. Vollkommen sicher ist diese Methode jedoch nicht, weil in vielen Fällen auch vertrauenswürdige Lehrer oder Meister auf Schüler treffen, von denen sie missverstanden werden. Solche Schüler werden in ihren Erwartungen enttäuscht sein, ihre Misserfolge dem jeweiligen Meister zuschreiben, ihn unter Umständen in der Öffentlichkeit verleumden und kein gutes Haar an ihm lassen.

Andere Lehrer oder Meister gibt es, die vielleicht ehrlich der Meinung sind, sie stünden in bewusster Verbindung mit der göttlichen Welt und lehrten in höherem Auftrag Jesu, Gottes oder Heiliger. Sie reden sogar „im Namen“ Jesu, „treiben in seinem Namen Dämonen aus und vollbringen Machttaten“. Aber, so sagt Jesus, „nicht jeder, der zu mir sagt, Herr, Herr! wird in das Reich der Himmel kommen, sondern wer den Willen meines Vaters in den Himmeln tut“ (Matthäus 7, 21).

Wer tut den Willen des Vaters in den Himmeln? Ein Lehrer, der aus den Himmeln gekommen ist, aus dem „Gesetz“ der Himmel (Matthäus 7, 23) lebt und auf dieser Grundlage andere lehrt. Das „Gesetz“ der Himmel und des Weges zu den Himmeln findet sich unter anderem bei Matthäus 16, 25: „Wer sein Leben retten will, der wird es verlieren; wer aber sein Leben verliert um meinetwillen, der wird es finden.“ Sein Leben retten wollen, heißt, sein Ich-Leben retten wollen. Sein Leben verlieren um meinetwillen, heißt, sein Ich-Leben zu Gunsten von Jesus, der das Geistprinzip im Menschen verkörpert, zu verlieren. Wer sich so verhält, der wird das wahre Leben finden.

Mit einem deutlichen Gleichnis für jemanden, der die Worte Jesu hört und sie tut, schließt die Bergpredigt. Ein „kluger Mann“ hat sein Haus, das ist sein Leben, auf Felsen gebaut, weil er seine Einsichten mit Leib und Seele in die Tat umgesetzt hat. Als nun Platzregen kamen – das sind die von Zeit zu Zeit auf die Menschen herunterprasselnden Übergriffe der Herrschenden und Reichen, und als die Wasserströme kamen – das  sind die darauf folgenden Reaktionen der Angst und wirren Handlungen der Bevölkerung, und als die Winde wehten – das sind die chaotischen gesellschaftlichen und globalen Verhältnisse, die von allen Seiten auf die Völker eindringen – und an dieses Haus, das Leben des Einzelnen, stießen, da fiel es nicht ein. Denn es war auf den Felsen der Einsicht in die Wahrheit und des Lebens aus der Wahrheit gegründet.

Wer aber die Worte Jesu hört und nicht tut, dessen Leben „ist einem törichten Mann“ zu vergleichen, der sein Haus auf Sand baute, weil er das Gehörte nicht mit Leib und Seele in die Tat umsetzte. Und als die Übergriffe der Herrschenden und Reichen, als die Angstreaktionen und wirren Handlungen der Bevölkerung, als die chaotischen gesellschaftlichen und globalen Verhältnisse von allen Seiten an dieses Haus, das Leben des Einzelnen, stießen, da fiel es ein, weil es auf den Sand der Gleichgültigkeit und Illusionen gebaut war. „Und sein Fall war groß.“

 

Kommentare bitten wir brieflich oder per E-mail an die Adresse:

Königsdorfer Verlag, Zellwies 11, 82549 Königsdorf, bzw. E-mail-Adresse: www.koenigsdorfer-verlag@web.de zu richten, zu Händen von Konrad Dietzfelbinger.

 





Briefe zum gnostischen Christentum


 „Kommt und seht selbst!“ (Johannes 1, 39)           München, Januar 2024

 

24. Brief:   Die Bergpredigt VI: Die letzten Hinweise an die Schüler

 

Die meisten Menschen, auch wenn sie schon Schüler Jesu sind, sorgen sich in übertriebener Weise um Leib und Leben. Das liegt vor allem daran, dass sie kein festes, bewusstes Ziel für ein neues Leben in der Ewigkeit haben: nämlich einen verwandelten unvergänglichen Leib und ein entsprechendes Leben aufzubauen. Deshalb nehmen sie Leib und Leben in der irdischen Welt zu wichtig. Sie kümmern sich um  Wohlergehen und Genuss für Leib und Leben und vergessen dabei das eigentliche Ziel ihres Lebens: den Weg ihrer Seele in der göttlichen Kraft, auf dem die Wichtigkeit ihres sterblichen Leibes und Lebens in dem Maß abnimmt, wie sie sich auf das Ewigkeitsprinzip in ihrem Wesen besinnen und es sich entfalten lassen.

In diesem Sinn hatte Johannes der Täufer gesagt: „Jener muss wachsen, ich aber abnehmen“ (Johannes 3, 30). Die neue Seele, verkörpert durch Jesus, muss wachsen, und sie kann wachsen in dem Maß, wie die Konzentration auf den sterblichen Ich-Menschen und dessen Bedürfnisse abnimmt. Wer so lebt, wird den irdischen Dingen nur noch die Bedeutung beilegen, die zum irdischen Leben, wie Kleidung, Nahrung und Wohnung, und für den Schülerweg notwendig sind,  keine übertriebene Angst vor der Zukunft haben und das tun, was für  die nächste Zeit erforderlich ist..

Jesus versucht dabei an die Vernunft der Hörer zu appellieren: Könnt ihr durch noch so große Sorgen euer Leben verlängern? Es genügt, das Notwendige für die Gestaltung eines maßvollen Lebensstandards zu tun, alles andere ist von Übel. Sorgt der Vater nicht auch für das Leben der Vögel und Blumen? Warum sollte er es bei euch vergessen? Die immer größeren Sorgen rauben euch die seelischen Energien, die ihr besser für die Anforderungen eures Schülerwegs verwenden könntet. Ständig an die Zukunft und mögliches Unglück darin zu denken, nimmt euch die Kraft, das für den Weg Notwendige zu tun.

Denn der Führer auf dem inneren Weg, das Geistprinzip in der Seele, weiß, was der Schüler braucht. Dieses Innerste der Seele ist wie ein zuverlässiger Kompass. Es zeigt ihm bei jedem Schritt auf seinem Lebensweg das Verhalten, das für seinen Weg am günstigsten ist, auch wenn es scheinbar Unglück und Unannehmlichkeiten für das Ich mit sich bringt. Und kann er nicht auch in den neuen Seelenkräften und dem dadurch entstehenden Lebensmut neue irdische Wege entdecken, um seinen Alltag zu verbessern? Der Schüler wird darauf vertrauen, dass sich auf seinem Weg die Dinge so entwickeln werden, wie sie für seinen Weg am günstigsten sind. Das Leben wird ihn vor Situationen stellen, die ihm auf dem Weg helfen und ihn voranbringen.

 Doch könnten diese Worte Jesu, die auch in der Tradition des Volkes lebendig waren, Protest auslösen. Wird nicht das schöne Kleid der Blumen durch Krankheiten und Schädlinge zerrissen? Werden nicht die Blumen selbst auf jeden Fall sterben? Natürlich verstreuen sie ihren Samen und erstehen im nächsten Jahr wieder auf. Doch das ist nur ein geringer Trost.

Und worin besteht denn die Mehrzahl der menschlichen Lebensläufe? Überall ist der Mensch von Feinden umgeben, die ihm Kleidung, Nahrung und Wohnung missgönnen oder rauben. Gesellschaftliche Strukturen verursachen für viele Menschen ständige Armut, Krankheit, Unterdrückung und verfrühten Tod. Sind das schöne erfüllte Lebensläufe wie das des Königs Salomo? Sorgt Gott so für seine Menschen? Überdies hat der denkende Mensch Verantwortung für sein Leben und muss auch langfristig vorsorgen. Wenig kann er mit Sicherheit voraussehen, zum Beispiel Hungersnöte oder Naturkatastrophen.

Als denkendes Wesen hat er die Pflicht, vorausschauend sein persönliches und soziales Leben zu ordnen.  Sollte ihn Jesu auffordern, aufzuhören, selbst sein Leben zu meistern? Und wie ist der Satz zu verstehen: Euer himmlischer Vater weiß, dass ihr all dieser Dinge wie Kleidung, Nahrung, Wohnung und Gesundheit bedürft, und hilft euch in Notfällen? Die Wirklichkeit zeigt doch, dass viele Menschen diese Dinge auch mit härtester Arbeit nicht bekommen, und überhaupt verkommen. Wo bleibt da die Vorsorge des himmlischen Vaters? Man könnte höchstens sagen, dass der himmlische Vater durch die Einrichtung des Schicksals, das alle Menschen, ob gut oder schlecht, auf die Dauer gerecht behandelt, auf den bestmöglichen Lebensweg geleitet.

Jesus hat seine Schüler mit diesen Beispielen wohl nur ermuntert, ihr Auge auch auf die Schönheiten der Welt zu richten, und ein Vertrauen darauf zu entwickeln, dass sogar die bösen Seiten der Welt ihren guten Sinn haben. Vor allem sollten sie sich nicht selbst das Leben dadurch vergällen, dass sie sich zu große Zukunftssorgen machen und Angst vor dem Tod haben. Wissen sie denn nicht, dass sie nach dem Tod kein dunkles Nichts erwartet? Wichtige Aufgaben warten auch nach dem Tod auf sie.

Schließlich gibt Jesus seinen Schülern das Gebot, einander nicht zu richten. Die Missachtung dieses Gebots   hat in der Geschichte der Schülergemeinschaften schon großes Unheil angerichtet. Es geht hier um die Beurteilung der Schüler unter einander, ob der andere seinen Weg „richtig“ geht, ob er der Gemeinschaft oder dem Gottesplan „richtig“ dient oder eher schadet. Welcher Schüler kann aber den Mitschüler richtig beurteilen, da er doch dessen Gesamtsituation und Schwierigkeiten nur zum kleinsten Teil kennt? Sollte deshalb jeder Schüler besser davon ausgehen, dass der andere es gut meint, und deshalb auf jede Kritik verzichten? Er selbst ist nicht vollkommen, sein Urteil wird kaum immer richtig sein. Er urteilt oft mit seinem alten Bewusstsein, erkennt nicht wie Jesus die innere Lage des anderen, weiß nicht, ob er den anderen eine Zeitlang sich selbst überlassen muss, auch wenn dieser dadurch vielleicht Schaden für sich selbst und die Gemeinschaft anrichtet.

Und wird er sich selbst durch seine Kritik nicht an den anderen binden und diesen an sich selbst, statt ihn frei zu lassen und ihm neue Seelenkräfte mitzuteilen, die ihm schon helfen werden, aus seiner Fehlerhaftigkeit – falls er nicht richtig liegt – herauszufinden ? Helfen denn Vorwürfe, die den andern nur verunsichern oder reizen?

„Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet!“ Kritik ist eine Handlung des Verstandes, der doch selbst nicht fehlerfrei ist. Oft sieht der selbst Fehlerhafte seinen eigenen Fehler nicht, aber am anderen um so besser. Also „Was siehst du den Splitter in deines Bruders Auge, des Balkens jedoch in deinem Auge wirst du nicht gewahr?“ Solche Kritik des Verstandes, aus einem beschränkten Ich-Bewusstsein heraus, hält die Beteiligten, und besonders den Kritiker selbst, nur noch fester im alten Ich-Zustand. „Mit welchem Gericht ihr richtet, mit dem werdet ihr gerichtet werden.“

Vor allem wird ein solches Verhalten zu Streit und immer heftigerem Streit führen. Denn Vorwürfe reizen, und Vorwürfe seitens eines nicht akzeptierten Mitschülers werden vom Kritisierten gewiss nicht ernst genommen, und unter Umständen scharf zurückgewiesen. Welche Atmosphäre wird in einer Schülergemeinschaft entstehen, in der solche gegenseitige Kritik gang und gäbe ist?

Das alles betrifft Vorgänge, die sich auf der Ebene der Seele und des Seelenwegs abspielen. Wie aber steht es um ein Ich-Verhalten von Schülern, das der Ethik des Schülertums nicht entspricht? Wenn ein Schüler zum Beispiel einen anderen verleumdet? Oder sich nicht an den notwendigen Arbeiten zur Erhaltung der Unterkünfte beteiligt? Matthäus 18, 15 ff. gibt Jesus als Leiter seiner Schülergemeinschaft die Anweisung: „Wenn aber dein Bruder sündigt, so geh hin und weise ihn zurecht unter vier Augen“. Wenn das nichts hilft, geh zusammen mit anderen Brüdern zu ihm und so fort … Wenn auch das vergeblich ist, bringe ihn schließlich „vor die Gemeinschaft“. Und sollte er auch dann noch uneinsichtig sein, „sei er dir wieder“ wie ein unbelehrbarer Ich-Mensch.

Das neue Seelenwesen aber versteht und umfasst das Wesen der anderen Schüler, ihre Schwierigkeiten auf dem Weg, ihren vielleicht noch unzulänglichen Seelenzustand, aber auch ihre Bemühungen um Einsicht und Läuterung – und durch eine solche Umfassung geht sicher ein hilfreicher Einfluss vom einen zum anderen aus. Das Bewusstsein, dass der Weg darin besteht, ein immer helleres, freieres, wahreres Seelenwesen wachsen zu lassen, wird sich allmählich in der ganzen Schülergruppe verbreiten, jeden Schüler wohltuend umgeben und ihm helfen, seinen Mitschülern Fehler zu vergeben.

Eine Folge solchen Verhaltens wird unter anderem eine neue Art des Gebets sein. „Denn jeder, der bittet, empfängt.“ Der Schüler muss nur verstehen, was Beten eines Schülers ist. Beten heißt für ihn in erster Linie, dass er Herz und Denken für die von oben her kommende neue Seelenkraft öffnet. Nur so wird er betend nicht an Jenseits-Wesen geraten, die ihm falsche Versprechungen machen. Sodann bittet er nicht um bestimmte Dinge, sondern erstens um die Einsicht, was ihm an notwendigen Eigenschaften für den Weg noch fehlt, und zweitens, dass ihm die Kraft gegeben werde, das Fehlende zu erringen. Denn ihm ist bewusst, dass der Vater schon im voraus weiß, wessen er als irdischer Mensch und als Schüler bedarf. Er ist auf dem Weg zum Vater, und der Sohn des Vaters, der Jesus-Mensch, wirkt in ihm. Deshalb darf er sicher sein, dass er stets das erhält, was ein geliebter Sohn vom Vater empfängt.

Er wird mit Gewissheit immer das bekommen, was ihm auf seinem Weg weiterhilft. Er wird nur Gutes erhalten, auch wenn es seinem Ich-Wesen mitunter als Härte erscheint. Denn auch das Ich-Wesen bekommt auf dem Schülerweg die Einsicht und die Kraft, in seine Hingabe an das Seelenwesen einzuwilligen.

Eine gute Leitlinie für das Verhalten auch eines bereitwilligen und einsichtigen Ich-Menschen ist die uralte Regel, die Jesus hier zitiert. „Alles nun, was ihr wollt, dass es euch die Menschen tun, das sollt auch ihr ihnen tun.“ Wer so handelt, handelt im Sinne des Jahwe-Gesetzes, das auf den Seelen-Weg vorbereitet, und der Propheten, von denen Johannes der Täufer, der Vorläufer des Christus, der größte ist. Er handelt vernünftig, weil er auf diese Weise anderen und sich selbst am wenigsten Schaden zu fügt.

Nachdem Jesus seine Lehren an die Schüler vorgetragen hat, warnt er vor falschen Propheten und Lehrern, die bestimmte Verhaltensweisen empfehlen, deren Befolgung Erlösung oder Meisterung des Lebens bewirken soll. Sie verstellen sich oft als große hilfreiche Meister, im Hintergrund ihres Wesens lauern aber Absichten, von ihren Schülern Geld und Anerkennung zu erhalten und die geheime Lust, Macht auszuüben. Deshalb spricht Jesus von ihnen als „räuberischen Wölfen“ (Matthäus 7, 15).

Wie ist ihre Verstellung zu durchschauen? Die beste Methode ist, darauf zu achten, was sie in ihren eigenen Schülern bewirken, und welche „Früchte“ ihre Schulungen und Lehren bringen. Vollkommen sicher ist diese Methode jedoch nicht, weil in vielen Fällen auch vertrauenswürdige Lehrer oder Meister auf Schüler treffen, von denen sie missverstanden werden. Solche Schüler werden in ihren Erwartungen enttäuscht sein, ihre Misserfolge dem jeweiligen Meister zuschreiben, ihn unter Umständen in der Öffentlichkeit verleumden und kein gutes Haar an ihm lassen.

Andere Lehrer oder Meister gibt es, die vielleicht ehrlich der Meinung sind, sie stünden in bewusster Verbindung mit der göttlichen Welt und lehrten in höherem Auftrag Jesu, Gottes oder Heiliger. Sie reden sogar „im Namen“ Jesu, „treiben in seinem Namen Dämonen aus und vollbringen Machttaten“. Aber, so sagt Jesus, „nicht jeder, der zu mir sagt, Herr, Herr! wird in das Reich der Himmel kommen, sondern wer den Willen meines Vaters in den Himmeln tut“ (Matthäus 7, 21).

Wer tut den Willen des Vaters in den Himmeln? Ein Lehrer, der aus den Himmeln gekommen ist, aus dem „Gesetz“ der Himmel (Matthäus 7, 23) lebt und auf dieser Grundlage andere lehrt. Das „Gesetz“ der Himmel und des Weges zu den Himmeln findet sich unter anderem bei Matthäus 16, 25: „Wer sein Leben retten will, der wird es verlieren; wer aber sein Leben verliert um meinetwillen, der wird es finden.“ Sein Leben retten wollen, heißt, sein Ich-Leben retten wollen. Sein Leben verlieren um meinetwillen, heißt, sein Ich-Leben zu Gunsten von Jesus, der das Geistprinzip im Menschen verkörpert, zu verlieren. Wer sich so verhält, der wird das wahre Leben finden.

Mit einem deutlichen Gleichnis für jemanden, der die Worte Jesu hört und sie tut, schließt die Bergpredigt. Ein „kluger Mann“ hat sein Haus, das ist sein Leben, auf Felsen gebaut, weil er seine Einsichten mit Leib und Seele in die Tat umgesetzt hat. Als nun Platzregen kamen – das sind die von Zeit zu Zeit auf die Menschen herunterprasselnden Übergriffe der Herrschenden und Reichen, und als die Wasserströme kamen – das  sind die darauf folgenden Reaktionen der Angst und wirren Handlungen der Bevölkerung, und als die Winde wehten – das sind die chaotischen gesellschaftlichen und globalen Verhältnisse, die von allen Seiten auf die Völker eindringen – und an dieses Haus, das Leben des Einzelnen, stießen, da fiel es nicht ein. Denn es war auf den Felsen der Einsicht in die Wahrheit und des Lebens aus der Wahrheit gegründet.

Wer aber die Worte Jesu hört und nicht tut, dessen Leben „ist einem törichten Mann“ zu vergleichen, der sein Haus auf Sand baute, weil er das Gehörte nicht mit Leib und Seele in die Tat umsetzte. Und als die Übergriffe der Herrschenden und Reichen, als die Angstreaktionen und wirren Handlungen der Bevölkerung, als die chaotischen gesellschaftlichen und globalen Verhältnisse von allen Seiten an dieses Haus, das Leben des Einzelnen, stießen, da fiel es ein, weil es auf den Sand der Gleichgültigkeit und Illusionen gebaut war. „Und sein Fall war groß.“

 

Kommentare bitten wir brieflich oder per E-mail an die Adresse:

Königsdorfer Verlag, Zellwies 11, 82549 Königsdorf, bzw. E-mail-Adresse: www.koenigsdorfer-verlag@web.de zu richten, zu Händen von Konrad Dietzfelbinger.