04.11.20

Gnostisches Christentum - Forum für ein gnostisch-rosenkreuzerisches Christentum - 4 Brief

4. Brief, München November 2020



"Kommt und seht selbst" (Johannes 1, 39)

Briefe zum gnostischen Christentum


Die spirituelle Evolution des Menschen

Im 2. Brief wurde der spirituelle Weg vor allem vom Christentum aus betrachtet. In diesem Brief soll er aus einem anderen Gesichtspunkt dargestellt werden: vom evolutionstheoretischen Gesichtspunkt aus.

Jeder von uns besitzt einen stofflich-ätherischen Körper, erzeugt von zwei irdischen Eltern: Mann und Frau. Nach drei Monaten senkt sich in den Embryo ein Mikrokosmos ein: ein unsterbliches geist-seelisches Wesen mit seinem Karma. Das Karma ist im aurischen Wesen des Mikrokosmos gespeichert, knüpft aber auch an den Eigenschaften des entstehenden stofflich-ätherischen Körpers und dessen Eltern an - also auch an deren biologischen Genen.
Unsre Mikrokosmen stammen in der Regel aus dem Teil der ursprünglichen Menschheit, der sich von Gott getrennt hat und in die ungöttliche irdische Welt "gefallen" ist. Das bedeutet: Wir haben nur eine aus der irdischen Natur aufgebaute sterbliche Naturseele. Aber unser seit Ewigkeit im Mikrokosmos liegender Geist ist unsterblich. Er ist nur latent geworden und nur noch als verkümmertes, ohnmächtiges Prinzip vorhanden: als ein unentwickelter, unbewusster Geistfunke.
Stellen wir uns diesen Geistfunken einmal als "spirituelles" Gen vor, das im Gegensatz zu den irdisch-biologischen Genen des sterblichen Körpers unsterblich-göttlich ist, nur im Moment unwirksam. Jeder von uns ist also ein Mikrokosmos mit verkümmertem Geistprinzip, einem unwirksamen "spirituellen Gen", plus Karma und einem dazu passenden Körper. Man könnte, mit Paulus, dieses spirituelle Gen auch den "Christus in mir" nennen (Galater 2, 20).

Wie könnte nun der degenerierte Geistfunke, das spirituelle Gen, wieder aktiviert werden? Denn der gegenwärtige Zustand unseres Geistfunkens und des ganzen Mikrokosmos ist eine Anomalität, nicht im Einklang mit den Gesetzen des göttlichen Alls.

Um hier Abhilfe zu schaffen, kommen immer wieder Botschafter aus dem nicht von Gott getrennten, nicht "gefallenen" Teil der ursprünglichen Menschheit in die irdische Welt und inkarnieren in einen sterblichen, stofflich-ätherischen Körper. Sie haben einen intakten Mikrokosmos mit einem in der göttlichen Welt wirksamen, bewussten spirituellen Gen. Der uns bekannteste solche Botschafter mit einem Mikrokosmos dieser Art ist Jesus. Wie es Paulus ausdrückte, inkarnierte dieser Mikrokosmos in eine "Knechtsgestalt", das heißt, einen sterblichen stofflich-ätherischen Leib, erzeugt von Maria und Joseph. Dabei wurde das spirituelle Gen zunächst unwirksam, da es sich in einem Säugling nicht ausdrücken konnte: Jesus "entäußerte sich" vorübergehend seiner "Gottesgestalt", blieb aber mit ihr und deren besonderen Kräften verbunden. (Philipper 2, 6-7)
Auf einem spirituellen Weg ließ er während seines Lebens diese "Gottesgestalt" wieder wirksam und bewusst werden, dadurch, dass er ein neues Bewusstsein, eine Geistseele, und einen stofflich-ätherischen Leib aus göttlichen Substanzen neu aufbaute. Er "transfigurierte" den alten Leib, wie der Fachausdruck lautet, zu einem unsterblichen Leib, und zugleich das alte, sterbliche Ich-Bewusstsein zu einer unsterblichen Geistseele, bis alle drei, Geist, Geistseele und neuer Körper voll funktionsfähig waren. Das war seine "Auferstehung" nach Geist, Seele und unsterblichem Leib. Die "Gottesgestalt", deren er sich durch die Inkarnation "entäußert hatte", war wiedergewonnen.
Wir sterblichen Menschen können diesen Leib nicht sehen. Das liegt daran, dass er aus göttlichen Substanzen aufgebaut ist, während unsere Sinnesorgane, aus irdischen Substanzen aufgebaut, nur irdische Gegenstände wahrnehmen können. Die Schüler von Jesus jedoch, die während ihrer Arbeit mit dem Meister schon ein neues, un-irdisches Sinnesorgan aufgebaut hatten, konnten den Auferstandenen sehen. Gewöhnliche Menschen konnten es nicht.

Warum hatte sich Jesus inkarniert und einem derartigen Prozess unterworfen? Weil er uns irdischen Mikrokosmen Gelegenheit geben wollte, ihren anormalen, leidvollen Zustand durch einen freudevollen Zustand des Einklangs mit der göttlichen Welt zu ersetzen. Wir sollten einen Weg gehen können, auf dem wir unsererseits die Verkümmerung unseres spirituellen Gens, des Geistfunkens, rückgängig machen und die unsterbliche Dreieinheit von Geist, Seele, und Leib wieder verwirklichen würden.

Evolutionstheoretisch betrachtet ergibt sich in der aktuellen Gegenwart folgendes Bild: In uns gewöhnlichen sterblichen Menschen hat ein sterblicher Körper mit einer sterblichen Naturseele die Macht an sich gerissen. Aus der Naturseele ist ein sterbliches Ich entstanden, aufgebaut aus den irdischen Genen, das uns denkend und fühlend Orientierung in der irdischen Welt ermöglicht. Durch die Selbstherrlichkeit dieses Ichs ist jedoch unser spirituelles Gen unterdrückt worden, latent geworden, und wir leben meist nur aus den biologischen Genen, die unseren sterblichen Leib und unser sterbliches Ich aufbauen.
Doch das spirituelle Gen kann aus der Latenz erwachen, wenn es stimuliert wird. Es kann durch die Kraft, die vom aktiven spirituellen Gen eines Botschafters aus der göttlichen Welt in unserer irdischen Welt freigesetzt wird, erweckt werden, sobald es darauf Resonanz gibt. Wir sterblichen Menschen können daraufhin unser Ich und unseren Körper entsprechend verändern lassen, damit das spirituelle Gen wieder eine Ausdrucksmöglichkeit bekommt. Diese Veränderung können wir durch die Kraft verwirklichen, die Jesus oder ein anderer Botschafter auf seinem Weg freigesetzt hat.

Ein Schüler von Jesus geht also diesen Weg zur Wiederauferstehung seines Mikrokosmos, dazu instandgesetzt durch die Wiederbelebung seines spirituellen Gens und durch einen Weg, auf dem er das sich selbst behauptende Ich durch seine neuen Kräfte im wieder erstehenden Geist "untergehen" lässt, wodurch ein neues, spirituelles Bewusstsein entsteht. Ein neuer Geistmensch wächst in ihm, mit der Geistseele als neuem Ich, und einem unsterblichen Körper. Anders gesagt: der ursprüngliche Mensch, der jetzt nicht mehr von Gott getrennt ist, ersteht wieder auf.

Das ist vergleichbar dem Schritt eines Fisches an Land. In diesem Tier wirkt ein innerer Drang, an Land zu gehen und die dort mögliche größere Freiheit zu erwerben. (Die meisten Evolutionsbiologen der Gegenwart leugnen einen solchen Drang. Aber ohne ihn könnte weder die Entwicklung des Lebens zu größerer Freiheit noch unser eigenes Leben verstanden werden, in dem sich ein Drang zur äußeren Verwirklichung innerer Potenziale ausdrückt)
Der Drang des Fisches bedient sich also bisher nicht aktivierter, sterblicher Gene des Tieres oder ihrer Mutationen. Analog dazu drängt das unsterbliche spirituelle Gen in einem Menschen das Ich und den sterblichen Körper zu einem Weg, auf dem ein völliger Umbau von Naturseele und Körper stattfindet, bis eine neu entstandene Geistseele und umgebauter Körper dem spirituellen Gen entsprechen und ihm Ausdruck geben können. Beim Fisch ist dieser Drang von innen ein evolutionsbiologischer Drang zur Weiterentwicklung, mit dem Mutationen und eine Veranlassung von außen zusammenwirken, in der Regel eine Veränderung der Atmosphäre. Bei uns Menschen stammt so ein Drang von innen aus dem von einem Botschafter erweckten oder von selbst erwachenden Geistprinzip. Der Drang von außen ergibt sich ebenfalls aus der Veränderung atmosphärischer Bedingungen.
Der Fisch muss, um dem Drang von innen und außen zu genügen, seinen Bauplan vollkommen ändern. Aus der Schwimmblase muss eine Lunge werden, aus den Flossen Füße, das gesamte Blut-, Nerven - und Wahrnehmungssystem muss sich der neuen Lebenssphäre anpassen. Entsprechend seinem inneren und äußeren Drang und im Einklang mit der Selektion durch die Umwelt wirken die in den Genen stattfindenden Mutationen und ermöglichen den neuen Bauplan sowie die notwendigen psychischen Veränderungen.
Ähnlich ist es bei uns Menschen. Das unwirksam gewordene spirituelle Gen der ursprünglichen menschlichen Vollkommenheit, wird von außen und innen stimuliert: von außen durch einen Botschafter aus der göttlichen Welt, von innen aus dem wieder wach werdenden Entwicklungsdrang zu einer höheren Existenz. Das Christus-Gen verändert Körper und Seele so weit, bis unser Leben einem Leben in der Atmosphäre der göttlichen Welt wieder entspricht. Das ist vergleichbar der biologischen Selektion in einer neuen Umwelt. Dieser Vorgang ist der spirituelle Weg des wahren Menschen bis zur Auferstehung nach Geist, Seele und Körper.
Doch anders als die Tiere können und sollen wir Menschen bewusst an diesen Veränderungen mitarbeiten. Wir empfinden bewusst den inneren und äußeren Drang zu einem neuen Leben, während das alte Leben im gewohnten Zustand beharren will. Daraus ergeben sich die Konflikte auf dem spirituellen Weg.

Ein Blick auf die Stelle, an der wir uns als irdische Menschheit auf unserem Evolutionsweg derzeit befinden, zeigt Folgendes. Wir haben aus unserem sterblichen Leib mit sterblicher Naturseele - und zugleich im Leib - ein Ich entwickelt. Das ist eine notwendige Vorstufe zum spirituellen Weg, zum großen, jetzt anstehenden Evolutionsschritt - aber eben nur eine Vorstufe. Wir können und müssen erkennen, was das Ziel unserer Existenz ist, vergleichbar dem Schritt des Fisches an Land, um bei der Verwirklichung dieses Zieles bewusst mitwirken zu können. Dazu brauchen wir ein auf dem Weg vom Tier zum Menschen entstandenes Ich. Aber wie meistens bei einem Evolutionsschritt zum nächsten will sich der alte Zustand nicht ändern lassen. Das Ich will seine Errungenschaften nicht preisgeben. Wir sehen das bei allen Gesetzesreligionen, zu denen Botschafter aus der göttlichen Welt eine Religion der Freiheit bringen. Der Mensch klammert sich an die alten Gesetze. Das Ich will selbstbezogenes Ich bleiben, sei es aus Angst vor dem Neuen, sei es aus Stolz auf das Erreichte.
Der erste Schritt auf dem letzten Stück des menschlichen Evolutionswegs muss daher sein, zunächst dieses selbstbezogene Ich außer Kraft zu setzen. Es will aber nicht weichen, es glaubt sich selbst weiter entwickeln zu müssen. Es interpretiert den Drang aus dem erwachenden Geistfunken zum wahren Menschen fälschlich als Aufforderung, sich selbst weiter- und höher zu entwickeln. Man sieht gerade heutzutage, wie das Ich aus diesem Grund höchst merkwürdige Einfälle produziert. So möchten sich manche Menschen verewigen durch Transhumanismus, durch künstliche Intelligenz, durch zügellose Freiheit. Das alles führt unter Umständen zu einer Weltdiktatur, weil einige glauben, dass anders diese absurden Entwicklungen nicht mehr in den Griff zu bekommen sind - oder weil sie bestimmte Notsituationen ausnützen wollen. Aber all diese Skurrilitäten samt den Folgen sind nur fehlinterpretierte Impulse aus dem spirituellen Gen, die ins Sinnlose, Sinnleere münden müssen.
Es geht jetzt darum, dass der Mensch all diese hektischen Sprünge als Sackgassen erkennt. Das Ich war, zusammen mit den Gesetzesreligionen, die ihm vorläufig Halt gegeben hatten, eine notwendige Vorstufe zur eigentlichen Entwicklung, zur Wirksamkeit des spirituellen Gens gewesen. Jetzt aber ist die Zeit da, wo das spirituelle Gen verwirklicht werden muss, als der entscheidende Evolutionssprung der Menschheit. Die Bewusstwerdung des Christus im Menschen und in der Menschheit steht an. Und das bedeutet: Das selbstherrliche oder ängstliche Ich muss dem spirituellen Gen, dem Christus im Menschen, weichen.
Somit hat die Menschheit heute zwei große Aufgaben, gestellt vom spirituellen Gen, das durch den kosmischen Christus unaufhörlich stimuliert wird.
Erstens muss sie einen neuen Körper mit einem neuen Bauplan aufbauen, der Ausdrucksorgan für dieses spirituelle Gen ist, nicht mehr für das von sich überzeugte Ich.
Zweitens muss sie dieses selbstherrliche Ich in seine Schranken verweisen, und ein neues Ich, eine neue Seele aufbauen, die Ausdruck des spirituellen Gens ist. Das wird so klar durch das Wort aus den Evangelien dargestellt: "Wer sein Leben (des irdischen Ichs) retten will, der wird das neue Leben (des wahren Menschen) verlieren. Wer aber sein Leben (des irdischen Ichs) verlieren will, und zwar um des neuen Lebens willen, der wird dieses neue Leben finden." (Matthäus 16, 25)

Auf diese Weise würde allmählich der notwendige große Evolutionssprung der Menschheit möglich: Abbau des alten Ichs, Aufbau einer neuen Seele, Abbau der alten Körperfunktionen, Aufbau eines neuen Körpers "Transfiguration", bis Seele und Körper, unsterblich geworden, dem unsterblichen Geist, dem spirituellen Christus-Gen, entsprechen. Das ist das heutige Evolutionsziel und der Evolutionsweg, den Jesus vorgegeben, mit klaren Worten ausgesprochen und als christlich-religiöse Lehre und Kraft in der Welt verankert hat.
Es ist wahrscheinlich, dass dieser Auf- und Abbau nicht in einer einzigen Inkarnation des Mikrokosmos gelingt. Doch was in einer Inkarnation erworben wurde, kann in der nächsten weiter ausgebaut werden und so fort. Es wird der Augenblick kommen, wo die transfigurierte Persönlichkeit dem göttlichen Plan des vollkommenen Menschen so weit entspricht, dass der Mikrokosmos nicht wieder inkarnieren muss.

Bei der biologischen Evolution wird der Weg zur Übereinstimmung zwischen neuem Bauplan des Tieres und seiner Ausdrucksform durch den inneren und äußeren Entwicklungsdrang sowie mittels Mutation und Selektion und durch Vererbung gelenkt. Bei der spirituellen Entwicklung des Mikrokosmos hingegen, die mit einer Art immaterieller "Vererbung" der Inkarnationserfahrungen Hand in Hand geht, ist der innere Christus, das spirituelle Gen, der Maßstab, und der Mensch muss sich bewusst daran orientieren. Er kann, genau so wie das Tier, dem Plan folgen oder zurückbleiben, vom Weg abweichen oder darauf beharren. Aber er kann, anders als das Tier, den Maßstab erkennen und in der dadurch frei werdenden Kraft Fehler und Stillstand vermeiden.
Und das Wichtigste: Er wird, wenn er dem im Christus-Gen liegenden Plan folgt, eines Tages der irdischen Welt vollkommen entsteigen, das "Rad von Geburt und Tod", die Kette der Inkarnationen, verlassen, in die göttliche Welt eingehen und die verlorene Einheit mit Gott wiederfinden.

Das ursprüngliche Christentum ist und beschreibt dieses letzte Evolutionsziel und den dahin führenden Evolutionsweg der Menschheit, in Übereinstimmung mit dem spirituellen Christus-Gen, das ewig ist, aus der göttlichen Welt vor aller Schöpfung hervorgegangen ist, doch bei einem Teil der ursprünglichen Menschheit seinen Weg verlassen hat. Es kann und muss ihn heute wiederfinden, wenn die Menschheit nicht untergehen oder völlig degenerieren soll. Das ursprüngliche Christentum beschreibt dieses Ziel und den Weg dorthin in christlicher Terminologie. Auch eine andere Terminologie, der Evolutionstheorie entsprechend, ist möglich. Aber verankert wurde dieses Ziel in der Menschheit durch Jesus den Christus.
Dass das Christentum verunstaltet und verwässert wurde, ist nicht die Schuld des Christus. Dass es in seiner Degeneration heute oft abgelehnt wird, ist verständlich. Doch wen sollte das davon abhalten, seine wahre Gestalt und Absicht wieder zu erkennen und diese auch evolutionstheoretisch auszudrücken - und zu verwirklichen? Damit würden sich Religion und Naturwissenschaft die Hände reichen und das eine das andere unterstützen. Wie schreibt Paulus? "Denn die ganze Schöpfung wartet sehnsüchtig auf das Offenbarwerden der Herrlichkeit der Söhne Gottes" (Römer 8, 19).

Eine solche Sichtweise ist ungewohnt und ruft sicher viele Fragen, auch Widerstand hervor. Entsprechende Reaktionen auf diesen Brief sind willkommen.

Kommentare bitten wir brieflich oder per E-mail an die Adresse Königsdorfer Verlag, Zellwies 11, 82549 Königsdorf, bzw. E-mail-Adresse: www.koenigsdorfer-verlag@web.de zu richten, zu Händen von Konrad Dietzfelbinger.