05.12.20

Gnostisches Christentum - Forum für ein gnostisch-rosenkreuzerisches Christentum - 5 Brief

5. Brief, München Weihnachten 2020



"Kommt und seht selbst" (Johannes 1, 39)

Briefe zum gnostischen Christentum

Weihnachten - ist das nur die dunkle Nacht vor 2000 Jahren, in der das "Licht" geboren wurde? Das Licht des Christus, das einst die Nacht erhellte und heiligte und zur "heiligen Nacht" machte? Es ist die selbe Nacht und das selbe Licht, das auch heute die dunkle Nacht des Bewusstseins der Menschen und ihrer Gesellschaft erleuchten, verwandeln und heiligen kann.

Was damals geschehen war, kann heute wieder geschehen. Paulus spricht im Brief an die Philipper von Jesus dem Christus, "der, als er in Gottes Gestalt war, es nicht für einen Raub hielt" (das heißt, für ein Privileg, das er an sich gerissen hatte und unbedingt festhalten wollte), "wie Gott zu sein, sondern sich selbst entäußerte, indem er Knechtsgestalt annahm und den Menschen ähnlich wurde" (Philipper 2, 5-7). Eine frei wirksame Gottesgestalt inkarnierte in eine Knechtsgestalt - Licht inkarnierte in die Finsternis.
Die Knechtsgestalt war ein von irdischen Eltern, Maria und Josef, erzeugtes Kind. An anderer Stelle sagt Paulus: (Jesus), "der aus der Nachkommenschaft Davids hervorgegangen ist nach dem Fleisch, der eingesetzt ist zum Sohn Gottes ... nach dem Geist" (Römer 1, 3-4).
Jesus, eine in der göttlichen Welt wirksame Gottesgestalt, inkarnierte in die irdische Welt, in den sterblichen Körper eines irdischen Embryos aus Fleisch und Blut. Doch seine unsterbliche "Gottesgestalt" konnte sich wegen dieser Inkarnation in einen sterblichen Körper, eine "Knechtsgestalt", vorläufig nicht mehr ausdrücken und wurde unwirksam. Jesus "entäußerte" sich also freiwillig seiner Gottesgestalt, aber mit der Absicht, einen Weg in der irdischen Welt zu gehen, auf dem diese Gottesgestalt schließlich wieder wirksam wurde, auferstand und "zum Sohn Gottes eingesetzt" wurde.

Auch vor der Geburt jedes beliebigen irdischen Menschen wird ein Embryo von Mann und Frau erzeugt. Etwa im 3. Monat verbindet sich damit eine unsterbliche, aber meist zu einem bloßen Geistkeim verkümmerte Gottesgestalt. Am besten lässt sich dieser Sachverhalt durch den Begriff "Mikrokosmos" veranschaulichen. Jeder Mensch ist ein unsterbliches Geistwesen, ein Mikrokosmos, der in eine sterbliche Persönlichkeit inkarniert ist, verbunden mit deren Karma. Anders als bei Jesus tritt jedoch bei der normalen Inkarnation eines Mikrokosmos in eine sterbliche Persönlichkeit eine schon lange vorher "verkümmerte" Gottesgestalt in die irdische Persönlichkeit ein. Sie ist vor dieser Inkarnation zu einem bloßen Geistkeim degeneriert. Sie lebte unbewusst in der göttlichen Welt, weil sie durch ihre eigenwillige Trennung von Gott unwirksam geworden war. Um überhaupt weiter leben zu können, musste sie, unfreiwillig, in einen sterblichen Körper inkarnieren.
Im Unterschied dazu war die "Gottesgestalt" des Christus Jesus vollkommen entwickelt und hatte seit Ewigkeit bewusst in der göttlichen Welt gelebt. Durch ihre freiwillige Inkarnation in eine irdische Persönlichkeit, eine "Knechtsgestalt", verlor sie jedoch ihre Ausdrucksmöglichkeit, schon allein deshalb, weil sie sich in einem Säugling nicht mehr artikulieren konnte. Aber auf einem spirituellen Weg auf der Erde verwandelte Jesus seine "Knechtsgestalt" derart, dass sie der "Gottesgestalt" wieder Ausdruck geben konnte. Ihr Weg auf die Erde und auf der Erde hatte den Zweck, dass sie die irdische Persönlichkeit, in die sie sich inkarniert hatte, so verwandelte, dass sie sich in ihr wieder ausdrücken konnte. Auf diese Weise erlangte sie ihre Bewusstheit und Selbstständigkeit wieder, drückte sich in einem neu aufgebauten Geistleib aus und "erstand" wieder auf, als "Sohn Gottes" voll lebens- und handlungsfähig in der göttlichen Welt.

Wenn ein solcher schon völlig freier Mikrokosmos in eine sterbliche Persönlichkeit inkarniert, muss auch die irdische Mutter, die mit dem irdischen Vater diese sterbliche Persönlichkeit erzeugt hat, besondere Eigenschaften haben. Deshalb wird Maria als "Jungfrau" bezeichnet (Lukas 1, 27). "Jungfrau" ist eine Seele, die schon weitgehend von den Begierden der irdischen Welt frei geworden ist, nicht mehr erregbar durch sinnliche Leidenschaften. Nur deshalb konnte die "Jungfrau" Maria der vollkommenen, doch vorläufig nicht mehr ausdrucksfähigen Gottesgestalt von Jesus, der als Embryo in ihr und später als Kind bei ihr heranwuchs, eine geeignete Wohnung bieten.
Das ist die Bedeutung der Bezeichnung "Jungfrau". Sie besagt nicht, dass Maria die irdische Persönlichkeit von Jesus, ohne von einem Mann befruchtet zu sein, zur Welt brachte. Kein Wunder hat sich hier ereignet. Aber eine "Gottesgestalt" war freiwillig in eine von einem irdischen Paar gezeugte "Knechtsgestalt" inkarniert. Deshalb musste dieses Paar besondere Eigenschaften besitzen. Es bot, besonders die Mutter als "Jungfrau", als reine Seele, diesem besonders mit dem Geist verbundenen irdischen Kind geeignete Möglichkeiten des Heranwachsens in einer sonst unreinen Umwelt.
Als der Engel Maria besuchte und ihr die Geburt von Jesus ankündigte, sagte sie der Wahrheit gemäß: "Ich weiß von keinem Mann", das heißt, sie hatte noch nicht mit Josef geschlafen und meinte, der Engel spreche von einem irdischen Kind. Der Engel jedoch klärte sie auf. Er sprach nicht vom irdischen Kind, sondern von der mit diesem irdischen Kind verbundenen Gottesgestalt: "Der heilige Geist wird über dich kommen und die Kraft des Höchsten wird dich überschatten." Das Wort "überschatten" bezieht sich nicht auf einen biologisch-physischen Zeugungsvorgang, sondern auf die Verbindung einer unsterblichen Gottesgestalt mit dem in dieser Jungfrau entstehenden sterblichen Knechtsgestalt. Daher, so fährt der Engel fort, "wird auch das Heilige, das gezeugt wird, Sohn Gottes genannt werden" (Lukas 1, 35). Mit dem sterblichen irdischen Kind wird zugleich eine unsterbliche Gottesgestalt, ein aus dem heiligen Geist stammendes Wesen in Maria geboren werden, etwas "Heiliges", und in Verbindung mit einem herangewachsenen irdischen Menschen würde es "Sohn des Höchsten" genannt werden.

Es vergehen die üblichen neun Monate nach der jetzt erfolgten Empfängnis durch Josef, und ein Säugling wird geboren, mit dem ein besonderer Mikrokosmos, eine schon entwickelte, aber durch die Inkarnation in eine Knechtsgestalt latent gewordene Gottesgestalt verbunden ist. Im Lauf der Jahre macht sich diese vorerst unwirksam gewordene Gottesgestalt, ein bloßer Geistkeim, das heranwachsende Kind zu einem immer besseren Ausdrucksmittel. Sie verwandelt mit Hilfe der in ihr wirksamen göttlichen Kraft den sterblichen Körper des Kindes teilweise in einen unsterblichen Leib, wodurch sie selbst aus einem bloßen Keim zu einer wieder bewusst wirksamen Gottesgestalt heranwächst. Sie verwandelt von innen her den mit ihr verbundenen sterblichen Leib und verwandelt sich dadurch zugleich selbst, so dass sie sich dieses Leibes nach und nach ihren eigenen Kräften gemäß bedienen kann.
Stationen dieses Mysterien- oder spirituellen Weges sind der Aufenthalt von Jesus bei Johannes dem Täufer, seine Erleuchtung in der Taufe mit dem heiligen Geist am Jordan, seine Versuchungen in der Wüste, der Aufbau einer Geistesschule, seine Heilungen, seine Auseinandersetzungen mit den damaligen Theologen, seine letzte Versuchung in Gethsemane, die Kreuzigung seines restlichen sterblichen Körpers und die Auferstehung seines unsterblichen Leibes, mit dem er aus dem Grab der "Sterblichkeit" aufersteht.

Die teilweise Verwandlung seines sterblichen Körpers lässt sich als "geistige Psychosomatik" bezeichnen. Jede Wirksamkeit schon einer einzigen unsterblichen Geist-Zelle der heranwachsenden Gottesgestalt macht sich in der Seele und dem Körper des mit ihr verbundenen sterblichen Leibes bemerkbar und verwandelt auch dessen Zellen zur Unsterblichkeit. In einem bestimmten Augenblick hat diese besondere Gottesgestalt das Ziel ihrer Inkarnation erreicht. Sie ist einen Weg gegangen, auf dem sie das Sterbliche in Jesus zum Unsterblichen transfiguriert hat. Der ursprüngliche Mikrokosmos ist wieder hergestellt: eine harmonische Einheit von bewusster Gottesgestalt, integriertem Karma und unsterblichem Leib kann auferstehen.

Warum hat Jesus das getan? Um allen anderen Menschen die selbe Möglichkeit zu geben. Denn in jedem menschlichen Mikrokosmos liegt, unterdrückt von einer irdischen Persönlichkeit, ein noch unerlöster Geistkeim, ein noch unbewusster, verborgener Jesus, und ein dementsprechendes Karma. Der Sinn jedes irdischen Lebens ist aber, dass einmal, vielleicht nach mehreren Inkarnationen, dieser Geistkeim, Jesus der Christus im Menschen, wieder zur ursprünglichen Gottesgestalt befreit, das lastende Karma zu integrierten Seelen-Energien und ein Teil der sterblichen Persönlichkeit zu einem unsterblichen Auferstehungsleib transfiguriert worden ist.
Und der Sinn der Menschheitsgeschichte ist, dass einst alle Menschen einen unsterblichen Leib besitzen, den sie nach dem Vorbild von Jesus auf einem geistig-psychosomatischen Weg wieder aufgebaut haben. Denn dann ist für all diese transfigurierten Menschen die ursprünglich vorgesehene Einheit mit der göttlichen Welt wieder hergestellt, die durch die vor grauer Vorzeit erfolgte Trennung von Gott verloren gegangen war. Die im historischen Jesus wirksamen Lichtkräfte, die seine eigene Transfiguration verwirklicht hatten, werden im gesamten seelischen Menschheitsorganismus weiterwirken. Sie werden allmählich in dem Maß, wie sie nach seinem Vorbild von anderen Menschen aufgenommen werden, auch deren Transfiguration zu unsterblichen Wesen vollbringen. Vorausgesetzt, dass die Menschen mit diesen von Jesus gebrachten göttlichen Kräften bewusst mitarbeiten und seinen Weg nachvollziehen.

Wie bei Jesus kann der mit dem irdischen Embryo verbundene Geistkeim auch in jedem anderen Menschen wieder wach werden und einen Weg gehen, wenn ein solcher Mikrokosmos bereits eine gewisse Reife besitzt und vielleicht in eine Familie inkarniert, in der Vater und Mutter eine günstige seelische Umgebung bieten. Die Seele der Mutter "Maria" eines solchen Kindes würde sich bis zu einem gewissen Grad schon von hinderlichen irdischen Einflüssen gelöst haben, um sich diesem Geistkeim und dem damit verbundenen Kind vorurteilslos zuwenden zu können. Und der Josef in dieser Familie, der konstruktive Wille, würde wie im Evangelium dem heranwachsenden Kind und seiner Mutter in diesem Sinne beistehen.

Das ist die "gute Botschaft", das Evangelium, das Jesus gebracht hat: Nicht nur, dass ein einziges Mal das göttliche Licht in die finstere irdische Welt gekommen und in einem Erlöser seinen Weg bis zur Auferstehung von Geist, Seele und Leib gegangen ist. Sondern vor allem, dass seitdem auch jeder andere dazu bereite Mensch in der Kraft und nach dem Vorbild dieses Erlösers das im eigenen Mikrokosmos verloren gegangene Licht wiedergewinnen und den eigenen Körper zum unsterblichen Ausdruck dieses Lichtes werden lassen kann.

Der Beginn für diese Entwicklung, für diese Möglichkeit jedes Menschen, ja, der ganzen Menschheit, ist Weihnachten, die Geburt des göttlichen Lichtes, des göttlichen Mikrokosmos in einer irdischen Knechtsgestalt. Es ist schön, wenn die Menschen an Weihnachten dieser von Jesus gebrachten Möglichkeit gedenken und dankbar dafür sind. Die eigentliche Dankbarkeit würde aber darin bestehen, dass sie diese Möglichkeit auch verwirklichen. Denn dazu wurde sie ihnen geschenkt, dazu kam das Licht in die Welt, nicht, damit die Menschen es nur verehren sollten, in der bloßen Hoffnung, einmal von Jesus selbst die Unsterblichkeit des sterblichen Körpers geschenkt zu bekommen. Es kam in die Welt, um in allen anderen Menschen das Licht wieder anzuzünden, und sie zu einem Weg bis zur Auferstehung eines unsterblichen Leibes zu befähigen, damit sie die verlorene Herrlichkeit als ursprünglich göttliche Wesen in eigener Verantwortung wieder erwerben sollten. Sie sollten selbst zum Licht werden und ihm wieder Ausdruck geben.

Welche Rolle spielt in diesem Zusammenhang Johannes der Täufer, der sein Leben in engster Verbindung mit Jesus, sechs Monate älter, begann? Wie Jesus selbst war auch Johannes der Täufer ein besonderer Mikrokosmos, der"schon von Mutterleib an mit dem heiligen Geist erfüllt war" (Lukas 1, 15). Seine "Gottesgestalt" war zwar nicht, wie bei Jesus, vor der Inkarnation in eine "Knechtsgestalt" vollkommen entwickelt gewesen, war aber schon weitgehend selbstständig geworden und hatte ebenfalls einen besonderen Auftrag gehabt: nämlich die Aufgabe, den Weg von Jesus vorzubereiten. Deshalb besaß auch die Mutter Johannes des Täufers eine besondere Eigenschaft: Sie war bis ins Alter hinein unfruchtbar, war also wie Maria dem Einfluss irdischer Leidenschaften nicht mehr unterworfen (Lukas 1, 36).
Was war die Aufgabe Johannes des Täufers? Er sollte dem Erlöser, dem Bringer des Lichtes, den Weg bereiten. Er war ein Prophet, eine Inkarnation des Elia (Lukas 1, 17), der letzte in der Kette der alttestamentarischen Propheten, der den Übergang vom Alten Testament des Gesetzes zum Neuen Testament der Liebe vollzog. Das "Gesetz" herrschte in der irdischen Dimension, der Alten Welt, um die "Liebe", die unirdische, göttliche Dimension, die Neue Welt, vorzubereiten.
Wie sieht die irdische Welt aus, in der das "Gesetz" des Karmas und des Todes herrscht und Johannes der Täufer auf die göttliche Welt hinweist? Bei aller relativen Schönheit und Güte auf der Oberfläche ist sie in der Tiefe durch Sterblichkeit, Stolz und Angst ihrer Bewohner und daraus entstehendem Machttrieb, Besitztrieb, Geltungstrieb und Selbsterhaltungstrieb bestimmt. Schönheit und Güte an der Oberfläche verdecken die chaotische Tiefe nur sehr notdürftig. Die göttliche Welt indessen ist frei von Chaos, weil dort göttliche Weisheit, Liebe und Gerechtigkeit ohne Tod und Konflikt herrschen.
Obwohl auch unsere irdische Welt von der göttlichen Welt umgeben und am Leben erhalten wird, ist sie ohne Bezug zur göttlichen Welt sinnlos, vergebliche Mühe und Elend. Die Rosenkreuzer sprechen deshalb von einer "Notordnung", einer nur provisorischen Ordnung, die dazu da ist, dass die Menschheit mit Hilfe von Botschaftern aus der göttlichen Welt und des Schicksals-"Gesetzes" ihre verzweifelte Lage darin erkennen lernt und versucht, wieder Verbindung zur göttlichen Welt zu gewinnen. Erst dann werden die Menschen mit Hilfe der göttlichen Welt die vorübergehende Bedeutung auch der irdischen Welt erkennen und ihren Leidensgenossen helfen können, sich daraus zu lösen.

Um den Menschen die Eigenschaften dieser irdischen Welt bewusst zu machen, war seitens der göttlichen Welt das Schicksals-"Gesetz" und im engeren Sinn das ethische Gesetz des Alten Testaments eingeführt worden. Es sollte ein verantwortliches Ich in dieser Welt hervorbringen, teils als Vorbereitung auf einen späteren bewussten Weg, der aus dieser Ordnung herausführen würde, teils um die Not in dieser Natur ein wenig zu lindern.
Erst ein Mensch, der all diese Eigenschaften der irdischen Welt bewusst durchlebt hat und dadurch mehr oder weniger zermürbt ist, kann oder wird sich, weil sich in ihm der latente Geistkeim zu regen beginnt, nach der göttlichen Welt sehnen, der Heimat seiner gegenwärtig verkümmerten Geistgestalt. Insofern haben auch die dunklen Erlebnisse in der vergänglichen Naturordnung ihre Funktion als Vorbereitung auf das Licht der unvergänglichen Naturordnung. Aber nur wer die Relativität und Finsternis der vergänglichen Naturordnung, Chaos und Überdruss, Hoffnung und Enttäuschung, gründlich durchlebt hat, wird bereit sein, das Licht, wenn es ihn ruft, zu begrüßen. Er wird dann so viel wie möglich tun, um dem Licht den Weg zu bereiten, indem er ein entsprechendes Verhalten an den Tag legt. Deshalb antwortete Johannes, der Wegbereiter, auf Fragen: "Was sollen wir tun?" mit der Aufforderung, wenigstens das bestmöglich Gute zu tun, zum Beispiel: "Wer zwei Röcke hat, gebe einen dem, der keinen hat" (Lukas 3, 10-11).
Dass beide Funktionen, die des Vorbereiters Johannes, und die des Verwirklichers Jesus zusammenhängen, wird im Evangelium beschrieben. Denn als sich die beiden schwangeren Mütter, Elisabeth und Maria, begegneten, "hüpfte das Kind mit Frohlocken" in Elisabeths Leib (Lukas 1, 44). Die beiden Mikrokosmen, Johannes und Jesus, erkannten sich auch ohne physischen Kontakt. Und später sagte Johannes zu seinen Hörern: "Ich taufe euch mit Wasser" ... er aber (Jesus) "wird euch mit heiligem Geist und Feuer taufen" (Lukas 3, 16). Nur ein Mensch, der die Dunkelheit der irdischen Welt bis in ihre Tiefen erlebt hat, wird bereit sein, das Licht aufzunehmen, wenn es ihn ruft, und die Kraft haben, mit ihm zusammenzuarbeiten. In dem Maß, wie er sich in dieser Kraft aus der Gefangenschaft in der irdischen Natur löst, wird er sich dann, frei und selbstständig geworden, der irdischen Welt wieder aufs Neue zuwenden, um ihren Bewohnern den Weg der Erlösung zu zeigen und ihnen zu helfen.

Was über diese beiden historischen Gestalten oder Mikrokosmen, den Wegbereiter und den Verwirklicher, in den Evangelien erzählt wird, das entspricht den Vorgängen, die auch heute ein einzelner Mensch in der Nachfolge dieser beiden im eigenen Innern erleben kann und muss, wenn er einen spirituellen Weg gehen will. Er kann die beiden historischen Gestalten als aufeinander folgende Entwicklungsphasen seines eigenen Mikrokosmos auffassen.
Denn nach dem Durchleben so mancher Finsternisse, auf die Johannes der Täufer, Verkörperung eines vorbereitenden Weges, aufmerksam gemacht hat, kann der Augenblick kommen, dass sich einem Menschen die göttliche Welt als inneres Licht zeigen will, dass der bisher in seinem Herzen schlafende Jesus erwachen, "zur Welt kommen" und als neues Bewusstsein seiner Persönlichkeit, als erleuchtetes Bewusstsein, einen Weg bis zur Wiederherstellung des unsterblichen, göttlichen Menschen gehen kann.
Zunächst wird eine himmlische Botschaft, ein "Engel" in ihm erscheinen und den "Hirten" in ihm, den Seelenkräften, welche der Menschheit dienen wollen, die Einsicht vermitteln, dass das Licht darauf wartet, in sein Bewusstsein durchzudringen.
Dann werden ihm die "himmlischen Heerscharen", die den Engel begleiten (Lukas 2, 13), auch sagen, was dieses Licht in ihm und der Menschheit bewirken wird. Es wird die "Ehre Gottes in den Höhen" wiederherstellen. Die Menschen werden begreifen, was die Welt im Innersten zusammenhält: die das ganze All durchziehenden Eigenschaften Gottes, Weisheit, Liebe und Kraft, und sie werden wieder danach leben. Sie werden ihre bisherige Existenz in Stolz und Angst, Macht-, Besitz- Geltungs- und Selbsterhaltungstrieb, die unausweichlich dem Tod erliegen wird, in der Kraft des Christus hinter sich lassen und einen Weg der Transfiguration gehen, um frei für ein Leben ohne Tod zu werden. Dieses neue Bewusstsein wird endlich, sei es auch nach vielen Inkarnationen, "Frieden auf Erden unter den Menschen" und das Wohlgefallen am Leben wiederherstellen, was alles durch die Trennung von Gott, durch den Glauben an die Materie allein, verloren gegangen war (Lukas 2, 13-14).
Schließlich werden die "Hirten", die dienenden Seelenkräfte des Menschen, sich auch des Lichtes im Herzen bewusst werden und es schauen, das erst noch ganz klein, unter den ärmlichsten irdischen Umständen in Erscheinung tritt. Ihnen wird die 6. Seligpreisung gelten: "Selig sind, die reinen Herzens sind, denn sie werden Gott schauen" (Matthäus 5, 8).

Wer solche Ereignisse in den Wochen vor den Feiertagen und dem Fest selbst bedenken möchte, kann dies durch die traditionellen Rituale unterstützen. Am Kranz seines Bewusstseins kann er den Vorschein des Lichtes entzünden lassen: als erste Kerze ein auf das Licht gerichtetes, helles Denken, als zweite Kerze ein damit verbundenes freudiges Empfinden, als dritte Kerze ein durch neues Denken und Empfinden ermöglichtes Leben und als vierte Kerze eine daraus entstehende zuversichtliche Ruhe. An den Festtagen selbst kann er den Baum als Sinnbild für seine ganze Persönlichkeit auffassen, wie den Lebensbaum im Paradies, an dem bis in die letzten Nervenspitzen in Gliedern, Organen, Herz und Haupt der volle Schein des Lichtes erglänzt und ihm eine Vorahnung von dem Zustand des neuen, befreiten Menschen vermittelt.
Denn Weihnachten ist kein bloßes Kindheitsfest, kein nur persönliches Fest, auch kein nur besinnliches Familienfest. Es ist vor allem ein Menschheitsfest, das auf die Möglichkeit hinweist, dass durch das wachsende Christuslicht in jedem Menschen einst der ursprüngliche, freie, erkennende Mensch, das "Ebenbild Gottes" (1.Mose 1, 27) wiedergeboren und auferstehen wird. Das wird die Erlösung aller Menschen vom Übel und ihr Eintritt in die Einheit mit Gott und untereinander sein, auf einer neuen Grundlage, in einer neuen Welt - falls sie nicht nur an diese Möglichkeit glauben, sondern sie selbst verwirklichen.

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